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Allerlei Sprachtorheiten

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Es ist jede Wette zu halten, daß etwas, was heißt etwas, daß alles „durchgeführt“ wird. Man blicke in die Zeitungen, man drehe Radio oder TV auf, und schon liest oder hört man in den ersten Sätzen, ob die Schreiber nun Leitartikler, Wirtschafter, Lokalreporter, Politiker, Professoren, Sportler oder ob sie die Sprecher der Massenmedien sind, daß sie sich im „Durchführen“ geradezu überschlagen. Kaum ein Absatz — schon Karl Kraus hat gesagt: Je größer der Stiefel, desto größer der Absatz —, in dem nicht durchgeführt oder etwas zur Durchführung gebracht wird. Deutsche Sprak sein zwar schwere Sprak, gewiß — aber keine arme, und das ist auch gewiß.

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Es ist jede Wette zu halten, daß etwas, was heißt etwas, daß alles „durchgeführt“ wird. Man blicke in die Zeitungen, man drehe Radio oder TV auf, und schon liest oder hört man in den ersten Sätzen, ob die Schreiber nun Leitartikler, Wirtschafter, Lokalreporter, Politiker, Professoren, Sportler oder ob sie die Sprecher der Massenmedien sind, daß sie sich im „Durchführen“ geradezu überschlagen. Kaum ein Absatz — schon Karl Kraus hat gesagt: Je größer der Stiefel, desto größer der Absatz —, in dem nicht durchgeführt oder etwas zur Durchführung gebracht wird. Deutsche Sprak sein zwar schwere Sprak, gewiß — aber keine arme, und das ist auch gewiß.

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Wie arm jedoch muß unsere Sprache erscheinen, wenn all die Schreiber und Sprecher für die grundverschiedenen Dinge über keinen anderen Ausdruck verfügen, als daß jegliches zur Durchführung kommt. Es wird nicht besprochen — eine Besprechung wird durchgeführt; nicht ein Stück zum erstenmal gegeben — eine Premiere wird durchgeführt; nicht gereist oder eine Reise gemacht — eine Reise wird durchgeführt; und so weiter ins Endlose … Das einfache klassische Wort machen — klassisch, weil schon im antiken Griechenland auch dichten etwas machen hieß — ist verpönt. Dafür hörte man im Radio statt: Das Volksfest wurde mit einem Spruch eröffnet — „Unter Durchführung eines Spruches wurde das Fest zur Eröffnung gebracht.“ Das war anläßlich einer Burgenlandfeier schon im Jahre 1948. Seither sind mehr als zwanzig Jahre vergangen, und was damals als eine vereinzelte Entgleisung erscheinen mochte, ist heute zur allgemeinen geworden. Da lasüiiah am 19. Februar 1969 in einer Wiener Tageszeitung: „…es wurde beraten über die Durchführung und Durchführbarkeit.“ Ja, ja, es hat sich was mit der Durchführbarkeit der Durchführung! Richtig genommen kann durchgeführt etwa ein Zwirn durch ein Nadelöhr oder der Zug durch einen Tunnel werden — weil hier das Bild der Tat die Sprache regiert. Gerade im süddeutschen Sprachraum zwischen Main und Drau war immer das Bildliche gegenüber dem mehr oder weniger Unbildlichen im norddeutschen Sprachraum vorwaltend. Dort Schornsteinfeger, hier Rauchfangkehrer; dort Metzger, hier Fleischhauer; dort Postbote, hier Briefträger usw. Auch das überall eingebürgerte Kampfhandlungen statt Kämpfe (da doch Kampf die Handlung schon einschließt!) und gar das brutal-dumme „Erzeugungs schlacht“ (!). Wer oder was wird da geschlachtet?

„Ruf" und „Anschrift“ auf dem Briefkopf, der dem ausländischen Empfänger Rätsel aufgibt, statt ihm, was ja der Zweck des Briefes sein soll, die Verbindung zu erleichtern, und gar jene Hinweistafel im Salzburger Hauptbahnhof, wo man seinen Augen nicht -traut, wenn man beim richtungweisenden Pfeil liest: „Fernwahlmünzer"! Sogar der Eingeborene ist vor solcher Inschrift aufs erste unschlüssig; wie denn erst der sprachunkundige Ausländer, der dringend ein Telephon sucht, hier, in dieser internationalsten Festspielstadt Österreichs, die sich um die ganze Welt bewirbt… Übrigens heißt es in der ganzen Welt und jedem überall verständlich: Telephon, Telegraph, Radio — bei uns aber Fernsprecher, Fernschreiber, Rundfunk (das sogar die Nachgeburt „Mundfunk“ gezeitigt hat).

Gleichgültig, ob es Relikte aus der Nazizeit sind oder schon vorher von Teutschtümlern ersonnen- wurden. Sie haben ja die deutsche Sprache gepachtet und lassen Stilblüten sprießen wie etwa im Leitartikel einer Tageszeitung vom Jahre 1943: „… der tiefe Einblick in die totale Kriegführung ist ein weiterer unverrückbarer Grundstein“: könnte von dem seligen Kriegsberichterstatter Wippchen sein; oder noch 1956, elf Jahre „nachher“ — in einer rechtsradikalen Wochenschrift mit dem Untertitel „Kampfblatt für Volkstum und Heimat“ — : „… die Schlagzeilen der Ausgabe eines Wiener Blattes, mit denen dieses von den an die in Ostdeutschland lebenden Heimatvertriebenen zu berichten weiß.“ Wieder tratit man seinen Augen nicht, auch die Ohren wollen’s nicht fassen, denn so spricht einfach niemand: „mit denen dieses von den an die in…“ Papierener geht es wahrlich nicht mehr, gerade von jenen, die gern martialisch von Blut und Eisen oder Blut und Boden bramarbasieren.

Wir können viel weiter als auf Karl Kraus zurückgehen, z. B. auf Maria Theresia, um uns an einem idealen Beispiel von Kürze und Treffsicherheit zu erfreuen. Die große Kaiserin ordnete an (auf die Frage, wie man Straßer, den Erfinder der Straß- dlamaiįterų… „ pnit^chädigen, ß : „Man wird ihm auszahlen, was dafür " 1st. --T Kann man "sich vorstelleh, was ein heutiger Machthaber, und sei es auch nur ein bürokratischer, auf eine ähnliche Frage antworten würde? „Nach Durchführung der Erhebungen über die Brauchbarkeit und Verwendungsfähigkeit der Leistungen des Bezugsberechtigten führe man in Angemessenheit seiner Tätigkeit die Auszahlung in Bälde durch…“ Da haben wir, gleichwie im Juristendeutsch, alles beisammen, was nicht sein soll: die Häufung der Wörter auf -ung, -heit, -keit, das kränkliche „in Bälde“ („in Kürze“ wäre verzeihlich, da kürzer der Komparativ von kurz ist — nicht aber ^bälder“ von bald!), und natürlich unser durchführen und Durchführung… Klingt es nicht an Durchfall an? Es ist wahrlich der deutschen Sprache Brechdurchfall.

Aber auch mehr oder weniger prominente Schriftsteller bestehen Windmühlkämpfe mit der deutschen Sprache, so wenn einer in seinem Roman formuliert: ;,Er stieg vom Rad, das er schob.“ Es ist überhaupt so eine Sache mit den Relativsätzen. Man häuft sie allzugerne. Ein Allseitsverehrter und Preisverwöhnter präsentiert schon auf der ersten Seite in zwei gar nicht langen Sätzen einmal drei und das andermal gar vier (!) Relativeinschiebungen („der… welcher… die… die…“). Das list eine Stilminderung, die z. B. Thomas Mann auch bei seitenlangen Bandwurmsätzen nie unterläuft. Jener Relativliebhaber gebraucht auch mehrmals das neueste so fürchterliche „brauchte“, von dem es nur ein Schritt ist zu „wenn ich (ins Wasser) tauchte“ oder „wenn ich (eine Zigarette) rauchte“ Gewiß, Wenn- Sätze sind würdelos, das wird schon jedem Gymnasiasten eingetrichtert, aber wie wenige unserer Schriftsteller halten sich daran, und man liest wirklich: „Wenn ich Geld haben würde, baute ich mir ein Haus…“ Und was soll man zum Referat eines prominenten Theaterkritikers sagen, das folgendermaßen beginnt: „Bearbeitet und in Szene gesetzt von Franz Pfaudler, erfreut sich das Publikum einer gekonnten. Aufführung ..Ja, da kann man nur sagen: Sehr gut zur Durchführung gebrachter Stil!

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