Leonie Sachs wurde als Untertanin des deutschen Kaisers geboren. „Leonie Sachs“ hieß sie in den Reisepässen; es waren anfangs deutsche Pässe. Irgendwo im Hintergrund schaukelte sich, wie ein kleines Boot in der Ferne, die jüdische Abstammung. Wenn die Dinge ihren normalen Lauf genommen hätten, wäre das Boot immer kleiner geworden und — wer weiß? — vielleicht wäre es einmal hinter dem Vorhang des Horizontes verschwunden. Der Lauf der Dinge wurde jedoch verändert und das kleine Boot begann, statt zum verdeckten Horizont in verkehrter Richtung zu schwimmen. Es näherte sich immer
Ich stamme aus der gleichen Gegend wie Agnon. Er wurde in Buczacz und ich in Stanislau geboren; die Entfernung, die die kleinen Städte trennt, beträgt kaum mehr als 50 Kilometer. Nur, als ich zur Welt kam, war Agnon, der damals noch Czaczkes hieß, schon unterwegs nach Palästina. Ich erinnere mich noch aus meiner Kindheit, daß, wenn auf der Leber des Huhnes, das meine Großmutter für den Sabbat vorbereitete, Flecken sichtbar waren, sie das Huhn mit der fleckigen Leber in die Nebengasse zum Rabbiner schickte, um eine „Scheejla“ zu fragen (hebräisch: eine Frage zu stellen), ob das Huhn
IN PRAG BEFINDET SICH DIE ÄLTESTE Synagoge Europas, und in Prag drehen sich die Zeiger einer Uhr auf dem jüdischen Rathaus in der verkehrten Richtung; auf dem Zifferblatt dieser Uhr sind keine Zahlen, sondern Buchstaben des hebräischen Alphabets. Und in Prag besteht bis heute ein alter jüdischer Friedhof; auf einer Parzelle, die kaum für ein größeres Haus genügen würde, mußte man die Toten schicht-weise begraben; ein Ghetto für die Hingeschiedenen. In insgesamt 11 Schichten, bis man in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts aufgehört hat, den Friedhof zu benützen. Das heißt
Sein eigentlicher Familienname lautete Letz, er polonisierte die Schreibart auf Lee. Er gab sein erstes Buch noch im Jahre 1933 in Lemberg heraus; es war ein kleiner Band lyrischer Gedichte, betitelt „Die Farben”. Zwei Jahre spater iibersie- delte er nach Warschau, und damals erschien sein zweites Bandchen, „Zoo“. Bald darauf kam auch ich in die polnische Hauptstadt, und wir lemten uns in der Redaktion einer literarischen Zeitschrift kennen. In Warschau begann in dieser Zeit eine neue satirische Wochenzeitung („Szpilki“) zu erscheinen, wir wurden zur Mitarbeit eingeladen, und da
DIE WOLKEN HINGEN NIEDRIG; es begann zu dämmern; die Straßen blieben dunkel; die Straßenlampen wurden — aus Sparsamkeitsgründen — nicht entzündet.Durch die Starows'lna— die jetzt Straße der Helden von Stalingrad heißt —, nach Überquerung dieser Dietlallee kommt man zu der Stelle, wo vor dem Krieg die Juden Krakaus in geschlossenen Gruppen wohnten. Ich bin rechts in die Miodowa eingebogen; hier auf der Ecke von Podbrzezie befand sich der Tempel. Er stand da, dunkel, geheimnisvoll. Mit Mühe fand ich den Tempeldiener; er war kein Jude. Er sagte: „Nur Freitag abend und Sabbath