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„Unbedingt lesen!“

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Flatterte da jedem der „Allgemeinen Invalideriversicheruhgsahstalt“ Untertanen Rentner ein bedrucktes Zettelchen ins Haus. Oben auf dem Zettelchen — es liegt vor uns — steht drohend: „Rentner, Achtung!“ und „Sehr wichtig!“ und „Unbedingt lesen!“. Letzteres tut der Rentner also und erfährt:

„In den nächsten Monaten wird durch eine technische Umstellung im Rentenauszahlungsdienst auch für Sie persönlich in der Rentenzahlung verschiedenes geändert werden.“,

Aha, denkt der Rentner und ist bereits auf das Schlimmste gefaßt. Mit Recht. Denn Punkt um Punkt wird ihm dargetan, daß eine Invalidenrente eine Art von Gnade ist, die man nur durch pünktliche und fleißige Erfüllung gewisser schwieriger Anforderungen und nur durch Vermeidung zahlreicher Fehler erhalten kann. Nämlich „… die Rente wird am gleichen Monatstag wie bisher gezahlt. Der Geldzu6teller wird 6ie aber nur einmal aufsuchen. Wenn Sie nicht zu Hause 6ind, wird er Ihnen einen Zettel hinterlassen; aus ihm ersehen Sie, wann und wo Sie die Rente abholen können. Sie müssen aber die Rente unbedingt binnen drei Tagen beheben, sonst wird sie zurückgesendet.’ (Die . gesperrten Worte sind im Original drohend fett gedruckt.)

V. Aha, seufzt der Rentner — aber es mag ja sein, daß an dieser Umständlichkeit nur die Post schuld ist, deren Zustellungsdienst ja seit neuestem auf schwachen ~ oder besser: zu wenigen — Füßen steht beziehungsweise läuft. Schlimmstenfalls kann er sich ja die Rente .von seiner Frau vom Postamt holen lassen — oder sie kann es, so er nicht zu Hause, sondern beispielsweise beim Arzt ist, mit einer Vollmacht — nein, das kann sie nicht. Denn „die Rente darf nur vom Bezugsberechtigten persönlich übernommen werden. Die Auszahlung an eine andere Person ist auch mit Vollmacht nicht möglich. Ebenso ist eine Nachsendung der Rente ausgeschlossen.’

So, da hat er’s, der Invalide. Es ist mit einiger Sicherheit anzunehmen, daß er körperbehindert und die Befolgung solcher Vorschriften schwierig Und mühselig für. ihn ist. Es mag sogar sein, daß die Invalidenversicherungsanstalt eigentlich für ihn da sein sollte — und nicht umgekehrt — und daß es im Grunde eine einfache menschliche Pflicht wäre, ihm sein wahrscheinlich ohnehin nicht gerade glänzendes Leben nicht noch schwerer zu machen. Außerdem wird es zutreffen, daß ihm die Invalidenrente von Rechts wegen zufließt und er schließlich kein Almosenempfänger ist. AbeT das macht nichts:

„Richtig und pünktlich kann die Rente nur dann ausgezahlt werden, wenn obiges genaue6tens befolgt wird.“

Die Diagnose ist eindeutig. Es handelt sich um einen akuten Fall von Dementia ministerialis communis — zu deutsch: gewöhnlicher Schreibtischsadismus.

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