Beschauliches zerstören

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Mit Blickregime und Körperbildern setzt sich die Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist auseinander, deren beeindruckendes Werk jetzt in der Kunsthalle Krems gezeigt wird.

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Mit Blickregime und Körperbildern setzt sich die Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist auseinander, deren beeindruckendes Werk jetzt in der Kunsthalle Krems gezeigt wird.

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Die Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist polarisiert zweifelsohne. "Du Gestörte!", heißt es etwa im Gästebuch der Kunsthalle Krems und: "Sexuell frustriertes Weib!" Aber auch von Zauber ist da viel die Rede.

"Komm Schatz wir stellen die Medien um & fangen nochmals von vorne an", so der volle Titel der Schau, zeigt rund 40 Objekte und Videoarbeiten aus allen Schaffensjahren. Die Ausstellung wirkt wie eine einzige audiovisuelle Installation, obwohl sich die Arbeiten auf mehrere Räume verteilen - alles überlagert sich. Das Flackern der Bildschirme, das Flimmern der Projektionen und der Mix aus (Körper-)Geräuschen, Monologen und Schreien dringen jeweils in die Nachbarinstallationen.

Somit entsteht während des Rundgangs ein eigenes, sich stets wandelndes Bild, eine Impression, die weit über das unmittelbare Werk hinaus geht. Die durchgehende Dämmerung, in die sich die Ausstellung hüllt, schärft nicht nur die Wahrnehmung der audiovisuelle Impulse, sondern rückt vor allem das eigene Empfinden ins Zentrum und schafft so die Möglichkeit für einen individuellen, emotionalen Zugang. Ausgelegt sind die Räume mit Teppichen, die jeweils farblich an die Umgebung angepasst sind. Das dämpft den Schritt, die Außenwelt wird gleichermaßen erstickt.

Sieben Betten unterschiedlicher Größe und Höhe laden gleich zu Beginn ein, liegend in traumhaft-psychedelische Welten vorzudringen: Projektionen aus nackten Frauen und Naturbildern fügen sich am Plafond zu faszinierenden Kaleidoskopen zusammen und bereiten sanft vor auf das, was danach kommt. Von der Tür her wirken die reglos liegenden Besucher wie Teil der Installation - ein Konzept, das sich durch das ganze Haus zieht: Immer wieder wird man aufgefordert auf Sitzgelegenheiten aller Art Platz zu nehmen und in Pipilotti Rists Welt einzutauchen.

Vor allem das "Kremser Zimmer", das eigens für diese Ausstellung zusammengestellt wurde, fordert mit Vehemenz auf, neue Perspektiven einzunehmen. Belohnt wird der Besucher mit Bildern, die aus anderen Blickwinkeln unsichtbar geblieben wären.

Mut und Neugierde

Kunstwerke zu begehen und für einen Augenblick auch zu bewohnen, erfordert zunächst ein wenig Mut, legt rasch aber eine kindliche Neugierde frei. Während die Künstlerin, die ihren Vornamen der Ephraimstochter Langstrumpf zu Ehren geändert hat, einerseits alles daran setzt, den Besucher in ihre Werke eintauchen zu lassen, so sprengt sie gleichzeitig das Vertraute, zerstört das Beschauliche. In "Sip My Ocean" (Schlürfe meinen Ozean) lässt man zu einer Cover-Version von Chris Isaaks "Wicked Game" auf weißen riesigen Kissen den Alltag buchstäblich auf den Meeresgrund sinken. Alsbald jedoch kippen Refrain und die meditative Situation, schrille "I don't wanna fall in love"-Schreie holen das Unheimliche, die Angst aus den Besuchern heraus.

Angst und Unheimliches sind Motive, die sich immer wieder finden. In "Das Kreislein", einem Kinderbett, befindet sich ein "Virusobjekt", aus dem lautlose Bilder ("Pickelporno") dringen. Betritt man den Raum, sieht man zunächst nur Menschen mit ernsten Mienen auf ein Gitterbett starren, während auf der Bodenprojektion daneben ("Blutraum") Menstruationsblut von Schenkeln fließt.

Pipilotti Rist verzaubert und verstört zugleich. Vor allem aber zwingt sie Besucher, sich mit den eigenen Bildern im Kopf, den eigenen Sichtweisen im wahrsten Wortsinn auseinanderzusetzen und holt Gefühle und Gedanken hervor, die dem aufgeklärten, modernen Menschen nicht immer angenehm sind. Tabus bricht Pipilotti Rist nicht ziellos, dass das schmerzt, nimmt sie in Kauf.

Vor allem mit Frauen-Bildern setzt sie sich auseinander: beeindruckend schön die Arbeiten "Anja erweitert ihren Horizont" und "Pamela", letztere eine Stewardess, die Alltag und Träume mit ins Berufsleben bringt. "Die Liebe ist unklar. Schnallen Sie sich bitte an.", sagt sie zu den Passagieren an Stelle der üblichen Sicherheitsanweisungen. So möchte man auch sein, den Alltag mit Träumen zersprengen und wie in "Ever Is Over All" mit Blumen Scheiben zerschlagen.

Pipilotti Rist

bis 28. Juni, Kunsthalle Krems

Di-So, Mo wenn Feiertag 10-18 Uhr www.kunsthalle.at

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