Cyrano liebt sich und Roxane

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Das Burgtheater hat erstens seinen Brandauer wieder und zweitens eine respektable, die Schaulust befriedigende Aufführung.

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Das Burgtheater hat erstens seinen Brandauer wieder und zweitens eine respektable, die Schaulust befriedigende Aufführung.

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Das Burgtheater und sein Publikum, sie haben ihn wieder. Er ist wieder da, da, da. Er, er, er: Klaus Maria Brandauer. Und eine bessere Rolle als den "Cyrano von Bergerac" von Edmond Rostand könnte es für sein Comeback gar nicht geben. Da kann sich einer ganz und gar ausspielen, zeigen, was er kann, die ganze Orgel der Gefühle hinauf und hinunter, kann seine Fechtkunst zeigen und seine Sprechkultur, den großen Liebenden, den großen Verzichtenden mimen, sich ganz in seine Rolle fallen lassen, aber auch brechtisch verfremdend blinzeln, wißt's eh, Leuteln, es ist alles nur Spiel.

Und Brandauer straft denn auch alle lügen, die da hämisch meinten, er sei für den Cyrano viel zu alt. Er wirkt nur ein bißchen müde. Er ist ein respektabler Cyrano, und würde sich am Ende sein langes, langes Sterben nicht gar zu mühsam hinziehen, mit mindestens zehn ungebetenen Zugaben, bis selbst Barbara Auer, die Darstellerin der Roxane, Zeichen der Ungeduld zu erkennen gibt, dann wäre es überhaupt ein recht guter "Cyrano". Doch vor diesem unsäglichen Sterben, das fast an Dürrenmatts "Meteor" erinnert, wo ja auch einer, freilich vom Autor beabsichtigt, den Abgang von der Bühne des Daseins nicht und nicht findet, zieht Brandauer zwar nicht alle, aber doch etliche Register seines Könnens. Auch der Verzicht auf ein unrealistisch langes Riechorgan trägt dazu bei, ihn nicht als Ausnahms-, sondern als einen Menschen wie du und ich erscheinen zu lassen.

Aber derart zurückgenommen in den Schlachtenszenen hat man dieses Stück seit Menschengedenken nicht mehr gesehen. Sven-Eric Bechtolf inszenierte einen "Cyrano" ohne Kanonendonner und Pulverdampf, dafür rennen die Gascogner Kadetten mit wehenden Fahnen auf und ab, und als der arme Christian (Alexander Simon) tödlich getroffen auf die Bühne wankt, fragt man sich ernsthaft, wo ihm das passiert sein könnte. Bechtolf inszenierte "Cyrano" fast als Charakterkomödie, einen sehr ruhigen "Cyrano", in dem die Figuren alles sind, bloß nicht immer genug.

Dies kommt auch Alexander Simon zugute, der sich besser profilieren kann als mancher Vorgänger in der Rolle des Christian von Neuvillette, des Unglücklichen, der bei der schönen Roxane so schrecklich auf die Seife steigt. Roxane ist bekanntlich eine der köstlichsten Kunstfiguren des Theaters. Eine passive Verbalerotikerin von höchsten Graden, die mit schönen Worten eingekocht werden will und bei der sonst überhaupt nichts verfängt, da ist sie ganz strikt. Schönheit, Charme, Stärke, Männlichkeit, das alles bedeutet ihr nichts ohne die ausufernde Liebeserklärung in wohlgedrechselten Versen. Von denen freilich kann sie nie genug bekommen, da ist sie unersättlich. Cyrano liebt sie auch und hätte wohl gute Chancen, wäre da nicht sein schrecklicher Nasenkomplex.

Überzeugt, mit diesem Riechorgan könne ihn niemand lieben, erklärt er sich nicht, sondern suggeriert Christian die Verse, mit denen dieser prompt Roxane gewinnt. Und nach Christians Tod kann er sich erst recht nicht erklären, diesmal aus Loyalität. Dabei wären sie, er mit seiner dichterischen Begabung und sie mit der verbalerotischen Störung, mit der es ihr auf die Worte und nicht auf die Nase ankommt, doch das ideale Paar. Aber er schweigt, worauf sich die arme Roxane bekanntlich in ein Kloster zurückzieht, wo er sie wöchentlich besucht, um ihr alle Neuigkeiten zu erzählen. Nun ja, vielleicht liebt er sowieso die Liebe mehr als ihr Ziel. Sich selbst liebt und gefällt dieser Cyrano offensichtlich sehr.

Barbara Auer ist eine sympathische, warmherzige Roxane, aber daß sie auf Liebeserklärungen mehr abfährt als auf Liebe, nimmt man ihr nicht so ganz ab, da hat die Regie etwas Wichtiges unterbelichtet. Insgesamt kann man aber mit etwas Nachsicht zufrieden sein. Das Burgtheater hat wieder eine große, aufwendige Inszenierung, bei der dank Rolf Glittenbergs Bühne auch die Schaulust zeitweise auf ihre Rechnung kommt, vor allem aber haben die Burg und ihr Publikum ihren Brandauer wieder. Und vielleicht steckt er nächstens auch nicht in Papa Doolittles abgelegtem Müllkutscher-Kostüm.

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