Das Gesetz bringt Freiheit

19451960198020002020

Thema: Befreiungstheologie

19451960198020002020

Thema: Befreiungstheologie

Werbung
Werbung
Werbung

Jeder Versuch scheitert, das Judentum zu verstehen, wenn er sich nicht auch mit der zentralen Bedeutung des Jüdischen Gebots auseinandersetzt – in der ganz eigenen Schönheit seiner Vielfalt, seinen Mechanismen und Entwicklungsmöglichkeiten. Der verbindende Charakter der jüdischen Rechtstradition von Abraham über die Propheten bis zu den Rabbinern und heutigen Gelehrten ist die nie endende Suche nach Gerechtigkeit. Im Talmud heißt es dazu, dass die Anwendung des Rechts zum Leben führen soll, nicht aber zum Untergang (bT Sanh 74a). So enthalten die Bestimmungen über die Arbeiter und den Arbeitsvertrag sowie über das Darlehen, das Pfandrecht und das Erlassjahr (schemitta) eine Fülle von sozialen Gedanken.

Im Mittelpunkt steht, einen Ausgleich zugunsten der wirtschaftlich Schwachen herbeizuführen. Dieser Sinn für soziale Gerechtigkeit steckt in der Hebräischen Bibel und wird von den Propheten weitergeführt. Später hat der Talmud das Recht in diesem Geiste erweitert. Leo Baeck spricht vom Gebot, als bedeute es die Freiheit und schaffe die Befreiung: Das Gebot schließe in sich Güte ein, Treue, Selbstlosigkeit, Zuversicht und Versöhnung. Damit ist die wahre Freiheit des Menschen deutlich gemacht: Gott hat uns bereits alle befreit, damit wir die Chance ergreifen – oder ausschlagen – ganz nach unserem Willen. Nun gilt es, sich in einem stetigen Prozess der Läuterung Gottes Anforderungen zu stellen und sein Reich auf Erden Wirklichkeit werden zu lassen.

Uns Juden macht also das Gesetz frei. Das Credo unserer Befreiungstheologie ist, dass Gott alle gleichermaßen in die Verantwortung füreinander und für diese Welt beruft. Auch Jean-Jacques Rousseau hat den Wert des Gesetzes als eigentliche Freiheit erkannt: „Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit.

* Der Autor, Rabbiner, leitet das Abraham-Geiger-Kolleg in Berlin

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung