Das Gold der Spanplatten

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Kunst, Geschichte und Rätsel auf der Baustelle: Weil das Wiener Dom-und Diözesanmuseum wegen der Umbauarbeiten noch geschlossen ist, wanderte die Kunst in den öffentlichen Raum - und auf den Bauverschlag.

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Kunst, Geschichte und Rätsel auf der Baustelle: Weil das Wiener Dom-und Diözesanmuseum wegen der Umbauarbeiten noch geschlossen ist, wanderte die Kunst in den öffentlichen Raum - und auf den Bauverschlag.

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Bauverschläge befinden sich an Orten mit Schutt und Lärm, sie sind Übergangsbauten, dazu da, möglichst bald wieder abgerissen zu werden - und damit genau nicht das, was man sich unter Kunst vorstellt, wenn man sich diese als Werk hinter Lichtschranken oder in Glasvitrinen denkt.

Städte sind voll mit Bauwänden, meist geht man daran vorbei, ohne sie zu bemerken. Jene Bauwand im Wiener Zwettlerhof nahe dem Stephansplatz lässt nun aber innehalten und genauer hinsehen. Denn die zwanzig Meter langen Spanplatten dort sind mit arabischer Schrift bemalt, ein 2,5 Meter hohes Ornament knickt sich nun um die Baustelle, in der gehämmert und gestaubt wird. "Ehre sei unserem Herrn; dem erhabenen Sultan, verherrlicht im Ruhme, Krönung des Diesseits und der Religion, Būsa'īd Bahādur ān; Gott erhalte immerwährend seine Herrschaft" - unter dem Schriftbild ist die deutsche Übersetzung zu lesen.

Die Vorlage dafür findet sich im Wiener Dom- und Diözesanmuseum. Die Künstlerin Johanna Kandl besah sich dessen Schätze und griff für die Gestaltung des Bauzauns auf ein Objekt zurück, das auch Museumsdirektorin Johanna Schwanberg als eines ihrer Lieblingsstücke bezeichnet: das Grabtuch Rudolfs IV, oder anders gesagt, und damit die Akzente verlagernd, jenes iranische Seidentuch, das im 14. Jahrhundert mit Goldfaden für einen muslimischen Sultan gewebt wurde, dann aber zu Rudolf IV gelangte. Auch warum Rudolf, der Gründer der Wiener Universität und Initiator des Stephansdomausbaus, gerade darin bestattet wurde - man schneiderte ihm das Tuch auf den Leib -, bleibt rätselhaft.

Menschen mit Rätsel wegschicken

Unter anderem dieses Rätsel reizte Johanna Kandl, die die Schrift auf dem Grabtuch groß auf den Bauzaun malte und damit die billigen Spanplatten zum Goldhintergrund wandelte. Ein Kunstwerk, so Kandl, muss eine Frage stellen, einen Denkraum aufmachen. Man stoße schnell auf etwas, über das die Forschung nichts wisse - das interessiere sie sehr. "Ich finde es schön, wenn man Menschen mit einem Rätsel wegschicken kann."

Ein christlicher Herrscher ließ sich also in einem für einen Sultan gefertigten Seidentuch beerdigen - für Kandl tatsächlich bei aller Rätselhaftigkeit auch ein Zeichen dafür, dass Rudolf den Kopf gehoben und hinausgeschaut habe, Richtung Orient. Die Geschichte des Tuches und seines Weges sieht sie auch als Beleg dafür, wie sehr das sogenannte christliche Abendland mit dem Orient verwoben sei. Auf diese Bezüge des Christentums zum Orient hinzuweisen und gerade hier, nahe dem Dom, daran zu erinnern, versteht Kandl durchaus als politische Arbeit.

Vor allem während des Malens an der Bauwand selbst, schwärmt Kandl, wären die Menschen stehengeblieben und ins Gespräch gekommen. Für Direktorin Schwanberg macht dieses Projekt auch sichtbar, dass Kunst in vielen Bereichen stattfindet, dass ihr Wert nicht an den Materialien liegt und nicht am zur Verfügung stehenden Gesamtbudget und dass auch dort, wo Schutt ist, ein Austausch über Kunst stattfinden kann.

Ort der Kommunikation

Während das Dommuseum zu einem modernen und zum Stephansplatz hin offenen Museum umgebaut wird, nützt Johanna Schwanberg also den öffentlichen Raum des Zwettlerhofs. Aus dem bisher etwas heruntergekommenen Durchgang von der Wollzeile zum Stephansplatz wird so ein Kunstraum, aus der Baustelle ein Ort der Kommunikation. Mit diesem Kunstprojekt setzt Schwanberg programmatische Akzente, die ahnen lassen, wie sich das Museum künftig präsentieren wird: Als ein Ort, der geistigen Austausch provozieren will, interkulturell, interdisziplinär und interreligiös, als ein Ort, wo Tradition und Gegenwart miteinander in Beziehung treten.

Inzwischen haben sich Interessenten gemeldet: Sie hätten gerne Stücke der Bauwand, wenn diese eines Tages abgebaut wird. Selbst dieses als Provisorium geplante Kunstwerk, das erstaunlicherweise noch ohne jede "Verletzung" ist, hat offensichtlich kein Ablaufdatum.

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Zwettlerhof, Stephansplatz 6, Wien

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