Das Schweigen der Königin

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Es war 1992, als Bundespräsident Thomas Klestil den kühnen Versuch wagte, unsere überholte Neutralität in den "Tabernakel der Geschichte" zu verbannen. Ich war damals sein Sprecher -und prompt hatten wir allerhand zu tun, um das aufgescheuchte Land zu beruhigen: Jedermann wisse doch, musste Klestil zurückstecken, dass im Tabernakel das Allerheiligste aufbewahrt werde.

Der erste Mann des Landes war von einer überparteilichen Interessengemeinschaft eingebremst worden. Und das trotz seiner starken Verfassungsstellung -und trotz seiner richtigen Überlegung: im neuen Europa könne Österreich nicht zugleich neutral und solidarisch sein. Damals habe ich gelernt: Rang und Macht sind "zwei Paar Schuhe".

Blicken auf den Buckingham-Palast

Noch weit stärker erleben wir diese Wahrheit jetzt in London am Beispiel "Brexit". Angesichts der Regierungsja Verfassungskrise ist jedes Wort der Königin bis heute ausgeblieben. Aus gutem Grund: Seit der "glorreichen Revolution" von 1688/89 liegt die Staatsgewalt de facto allein beim Parlament. Sache Elisabeths II. sind die Zeremonien -den Rest besorgen die Abgeordneten.

"Unsere Monarchie kann im 21. Jahrhundert nur bestehen", schrieb kürzlich ein Leitartikler, "wenn sich die Person, die den Thron besetzt, einem strengen Neutralitätsgelübde unterwirft." Und das, obwohl sie den Premierminister ernennt und viele königliche Vorrechte auch in Regierungsfunktionen hineinreichen.

Es ist ein Symptom für das Ausmaß der britischen Krise, dass die Öffentlichkeit jetzt trotz -oder gerade wegen - dieses Schweigegebots gebannt zum Buckingham-Palast blickt.

Dass sogar die Hut-Mode der Königin für Schlagzeilen sorgt, wenn sie mit einer kornblumenblauen Kreation samt gelben Punkten überrascht - eine Erinnerung an die Europa-Flagge?

Dass britische Medien mit überdrehten Polit-Analysen auf den recht schlichten Rat der Queen reagieren, "gut übereinander zu reden, unterschiedliche Standpunkte zu respektieren, Gemeinsamkeiten auszuloten und niemals das größere Bild aus dem Auge zu verlieren". Auch wenn dabei das Wort "Brexit" nirgends zu finden ist.

Und dass die Briten seit Wochen lesen, die königliche Familie würde rasch aus London evakuiert werden, sollte der Streit um den EU-Austritt die Straße erreichen.

Was Elisabeth aber offenkundig doch will: gut verschlüsselt deutlich machen, dass die Royals keine neutralen, leidenschaftslosen Zuschauer des gegenwärtigen Dramas sind. Und dass das vielgelobte "Mutterland der Demokratie" seine Stabilität nicht länger gefährden dürfe.

Denn: wie sehr die bisher so erprobte britische "Verbindung einer liberalen politischen Kultur und einer archaischen Verfassung" (The Guardian) zuletzt ins Trudeln geraten ist, das hat dieser Tage der Seite-1-Titel der New York Times deutlich gemacht: "Es ist offiziell: Großbritannien ist verrückt geworden!"

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