Die Kunst vor dem Sturm

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Ein Werk über die Wiener Secession läßt deren leichte, heitere Seite nicht zu kurz kommen.

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Ein Werk über die Wiener Secession läßt deren leichte, heitere Seite nicht zu kurz kommen.

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Was einst, so ums Jahr 1900, von braven Bürgern als empörend, als revoluzzerisch, ja als ästhetischer Schlag ins Gesicht und von anderen, nicht weniger braven Bürgern, als aufregend neu empfunden wurde und für sie die Welt in ein neues Licht, das Licht eines neuen Sehens tauchte, wirkt nun ausgesprochen heimelig, sendet ins Heute die Botschaft von einer entschwundenen heilen Welt: Die Kunst der Secessionisten. Wir wissen, daß die Welt, gegen die sich die Secessionisten wandten, zwar brüchig war, aber sie war noch nicht zerbrochen. Was heute besonders auffällt, ist die ganz besondere Zeitbedingtheit, ja Datierbarkeit ihrer Ästhetik. Das Wiener Belvedere etwa wurde ja wohl hundertemale gemalt und gezeichnet, doch genügt ein ganz kurzer Blick etwa auf den um 1903 entstandenen Farbholzschnitt "Belvederegarten im Winter" von Carl Moll, um ihn in diese wenigen Jahre des Jahrhundertbeginns einzuordnen, in diese Jahre der Brüchigkeit vor dem Zerbrechen.

Nachprüfen, und zwar mit hohem ästhetischem Genuß nachprüfen, läßt sich dies wieder einmal anhand der Neuerscheinung "Heiliger Frühling - Gustav Klimt und die Wiener Secession 1895-1905" von Marian Bisanz-Prakken, dem wir unter anderem das Standardwerk über den Beethovenfries verdanken. Heiliger Frühling, ver sacrum, das entsprach nicht nur dem missionarischen Selbstverständnis der Secessionisten, so hieß nicht nur die 1898 gegründete Zeitschrift, nicht nur ein Raum im Secessionsgebäude, das ist auch eine Botschaft, anders als damals gemeint, vom vielversprechenden Frühling eines Jahrhunderts, das sich zu einem der schrecklichsten auswachsen sollte.

Bisanz-Prakken hat ein ausgezeichnetes, ernsthaftes Buch geschrieben. Aber er konterkariert auf listige Weise mittels der Illustrationen die Ernsthaftigkeit des Textes. Die Fülle der Abbildungen vermittelt nicht nur die Größe und Bedeutung der Wiener Secession, sondern auch ihre gefällige und nicht selten geschmäcklerische Seite (die auch Carl Moll nicht fremd war). Wir können anhand dieses eindrucksvollen Abbildungsmaterials erstaunliche Gratwanderungen zwischen Kühnheit und Kitsch verfolgen. Ohne sie wäre ja eines der zentralen Anliegen dieser Künstler, nämlich die Ästhetisierung des Alltags, nicht möglich gewesen. Doch wie aus einer anderen, eben einer heilen Welt berühren uns die Leichtigkeit und der Witz vieler Secessionisten.

Die Wiener Secession wollte die Kunst und aus der Kunst heraus das Alltagsleben jener erneuern, die es sich leisten konnten. Heute wirken ihre Arbeiten wie Botschaften über einen Graben, einen riesigen Bruch, und wenn wir genau hinschauen, kündigt sich das Grauen unterschwellig bereits an.

Auch für den Kenner ein wichtiges Buch. Die Geschichte der Hagengesellschaft wird erhellt, die Querverbindungen zu den verwandten Bewegungen anderer Länder werden behandelt, die oft unterbelichtete Holzschnittproduktion nimmt breiten Raum ein. In den Holzschnitten ist auch die Tendenz zum Ästhetisieren, der über alle Häßlichkeiten der Welt gelegte milde Schleier, das damals schon und heute doppelt Nostalgische, besonders ausgeprägt.

"Heiliger Frühling" ist eines der schönsten Kunstbücher dieses unheilschwangeren Frühlings, der manches mit 1914 gemeinsam hat. Man kann es zur kunstgeschichtlichen Information gebrauchen, man kann dabei nachdenklich werden, man kann darüber ins Träumen geraten.

Heiliger Frühling. Gustav Klimt und die Anfänge der Wiener Secession 1895 bis 1905 Von Marian Bisanz-Prakken, Christian Brandstätter, Wien 1999, 224 Seiten, viele Bilder, geb., öS 750,- e 54,50

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