Dunkel, abgründig und beunruhigend

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Andrea Breth und ein großartiges Ensemble übersetzen mit großer Akribie John Hopkins Drama "Diese Geschichte von Ihnen" auf die Bühne.

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Andrea Breth und ein großartiges Ensemble übersetzen mit großer Akribie John Hopkins Drama "Diese Geschichte von Ihnen" auf die Bühne.

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Es beginnt in absoluter Dunkelheit. Wir hören nur Geräusche eines Mannes, wie er schwer atmend in ein Haus eindringt, über Tische und Stühle stolpert, Glas zerschlägt, bis endlich das kleine Licht der Hausbar den Raum schwach erhellt. Massig und stark angetrunken taumelt Nicholas Ofczarek, ein Whiskeyglas in der Hand, durch eine Wohnzimmerlandschaft, deren die ganze Breite der Bühne einnehmende Wohnwand unzählige, kitschige Nippesfiguren beherbergt. Das Glas fliegt, Porzellan zerbricht, auch die Plattensammlung muss dran glauben, dann stürzt er erneut zu Boden. Es ist dies nur der Anfang des Falles vom Polizeisergeant Johnson.

Der Polizist als Täter

Das 1968 geschriebene und 1973 auch verfilmte Stück des vor allem als Drehbuchautor bekannt gewordenen Briten John Hopkins erzählt vordergründig die Geschichte des Kriminalpolizisten Johnny Johnson, der zum Täter wird. Während des Verhörs prügelt dieser den der Vergewaltigung eines Kindes verdächtigten Immobilienmakler Baxter ohne jeden Beweis, nur aufgrund einer mehr als zweifelhaften Zeugenaussage, ganz einfach, weil er ihn für schuldig hält, zu Tode. Es geht Hopkins aber nicht um diesen doppelten Kriminalfall, also nicht darum, ob Baxter schuldig ist oder nicht und wenn ja, ob die Anwendung von Gewalt allenfalls halbwegs zu legitimieren wäre. Vielmehr interessiert er sich für die Gründe von (Johnsons) Gewalt. Was hier in den Blick gerät, hat Norbert Elias das "Affektgefüge" des Menschen genannt, die grundlegenden Triebe wie Hunger, Durst, aber eben auch Sexualität und Angriffslust, die durch allerlei Regeln und Verbote gebändigt werden. Das große Verdienst von Andrea Breths Inszenierung ist, dass sie mit großer Geduld und Akribie die Psychologie der Figuren ausmalt, ohne zu erklären oder vorzugeben, sie wisse um die Gründe der Gewalttätigkeit.

Das dramatische Raffinement des dreiaktigen Stücks, das aus drei je ungefähr einstündigen Dialogen besteht, liegt in der Anordnung der Ereignisse, weil es deren Chronologie umkehrt. Im ersten Dialog gewährt Hopkins Einblick in das Privatleben Johnsons. Das Gedöns hat die Frau geweckt. Andrea Clausen als Maureen steht auf einmal im Morgenmantel und Lockenwickler im Haar im Wohnzimmer. "Ich habe heute Nacht vielleicht einen Menschen umgebracht" sind die ersten Worte, die der betrunkene Mann an sie richtet. Sie will ihm helfen, ihn zum Sprechen bringen, er aber kann ihre Hilfe nicht annehmen, weil das, was passiert ist, so einfach nicht in Worte zu fassen ist. Stattdessen beschimpft er sie ("Du siehst beschissen aus" etc.), bis die Situation eskaliert und in einer Zimmerschlacht mündet.

Im zweiten Akt wird Johnson durch den Chief-Inspector Cartwright verhört. Roland Koch spielt ihn kettenrauchend als lässigen, jovialen, immer überlegenen Vorgesetzten, dem es allerdings auch nicht gelingt, Johnson dazu zu bringen sich zu offenbaren.

Was im ersten Akt an verbaler Gewalt mit Erniedrigungen, Demütigungen und Verletzungen beginnt und schließlich bei körperlichen Übergriffen endet, findet im dritten Akt eine drastische Übersteigerung. Szenen von solch eindringlicher körperlicher Gewalt, wie sie Ofczarek als Johnson und August Diehl als Baxter vorführen, hat man im Theater zuvor kaum einmal gesehen.

Entfaltungsräume der Gewalt

Was "Diese Geschichte von Ihnen" jenseits dessen aber so brisant macht, ist, dass Hopkins und Breth die Gewalttätigkeit von Johnson nicht pathologisieren. Es sind weder die Bilder in seinem Kopf noch die sozialen Verhältnisse, die den Gewalttäter produzieren. Klar, auch Johnson ist frustriert, in seiner Ehe, im Beruf, wo er keine Anerkennung gefunden hat und nie befördert wurde. Dazu wurde er als Kind von einem gewalttätigen Vater misshandelt. Aber der soziale Kontext genügt Hopkins weder als Ursache noch als hinreichende Bedingung für Gewalt. Weniger auf die Ursachen als auf das Geschehen selbst kommt es ihm an. Thomas Hobbes nannte es den Kriegszustand, der aus den natürlichen Leidenschaften der Menschen notwendig folge und sich stets eine Gelegenheit sucht, um das Tabu der Gewalt einzureißen, um den verborgenen Begierden freien Lauf zu lassen. Von dieser Gewalt spricht "Diese Geschichte von Ihnen", die dunkler, abgründiger, beunruhigender ist.

Diese Geschichte von Ihnen

Akademietheater 7., 11., 14. Februar

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