Ein moralischer Triumph als Entführungstäter

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In einer nachgestellten Satire ist der französische Schriftsteller Michel Houellebecq er selbst - wirklich?

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In einer nachgestellten Satire ist der französische Schriftsteller Michel Houellebecq er selbst - wirklich?

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Mit gut durchdachtem Hintersinn führt Regisseur Guillaume Nicloux den französischen Skandalautor und Prix Goncourt-Preisträger (im Jahr 2010, für den zuletzt erschienenen Roman "Karte und Gebiet") Michel Houellebecq (gespielt von Houellebecq selbst) ein: Da parliert er mit seiner (filmischen) Schwester über Mozart und Beethoven, bei einem Vertrauten macht er Le Corbusiers Leitbild der "vertikalen Wohnstadt" madig (auch die weiterführende Idee des Science Fiction-Autors J.G. Ballard in "High-Rise" tauge nichts), einem Fan signiert er auf offener Straße ein Buch, und als ein arabischstämmiger Taxifahrer anhält, nimmt er lieber doch die Metro.

Hier begegnet uns ein kaputter Houellebecq - oder vielmehr: die Kolportage eines Klischees -: ständig hängen Houellebecqs Augenlider, und ständige Begleiter sind auch die unvermeidliche Zigarette, deren Giftstoffe er mit der ihm eigentümlichen Handhaltung tief und todesverächtlich inhaliert (später rechtfertigt er sich: er habe sich dereinst beim Basketball einen Finger gebrochen), und natürlich Alkohol: im Gehen trinkt er Bier aus dem Plastikbecher und in seiner Wohnung - im anonymen Hochhaus eines Außenbezirks: nach 10-jähriger Absenz lebt er seit 2013 an der Peripherie von Paris - verunziert billigster Rotwein-Fusel den Küchentisch.

Kurzum: Hier wird uns ein Michel Houellebecq präsentiert, der Mitleid wie Abscheu hervorruft. Doch Halt! Der Film ver-mischt (vermeintlich?) fiktive mit vorsätzlich dokumentarischen Formen, basiert er doch auf tatsächlichen Geschehnissen: 2011 posaunierte die französische Presse, Houellebecq sei von al-Qaida entführt worden.

Intelligentes Verwechslungsspiel

Verbürgt ist, dass sich der umstrittenste Autor seiner Generation auf Lesereise in Belgien und Holland befinden sollte, allein er war wie vom Erdboden verschluckt, was der französischen Presse Anlass genug war, wilde Spekulationen in die Welt zu setzen. Der Grund für die Abwesenheit Houellebecqs wird nun filmisch nachgereicht: Im Aufzug seines Hochhauses wird er von drei Männern, die wie Bodybuilder aussehen, entführt - aufs Land. Die schusseligen Entführer zeigen sich ohne Maske, was Houellebecq zuerst an einen sicheren Mord glauben lässt, doch diese versichern, dass sie wirklich jemanden an der Hand haben, der bereit wäre, für den Schriftsteller Lösegeld aufzubringen.

Ans Bett gekettet verlangt Houellebecq ständig nach Zigaretten und Rotwein, bald wird er aber zunehmend Teil der Familie: Man diskutiert über alltägliche, auch literarische Fragen (lustig: die "Lovecraft"-Szene). Zu seinem Geburtstag - geht er doch schließlich niemandem ab -engagiert die Mutter der drei Brüder ganz selbstverständlich ein junges Mädchen aus dem Dorf, das mit Houellebecq die Nacht verbringt. "Die Entführung" ist ein intelligentes (Verwechslungs-)Spiel zwischen der öffentlichen beziehungsweise privaten Person Michel Houellebecq, bei der man am Ende nicht so genau wissen möchte, was Realität und was Fiktion war/ist. Man muss zugeben: Der von Houellebecq blasiert vorgetragene Nihilismus hat seine unterhaltsamen Seiten; die eigentliche Überraschung aber ist: Houellebecq hat - zumindest als Darsteller, ob auch in natura: auch das wollen wir nicht so genau wissen - erstaunliches Talent zum Komödianten. "Die Entführung von Michel Houellebecq", Überraschungserfolg der diesjährigen Berlinale, hat hierzulande am 30. Mai - in Anwesenheit des Autors und des Regisseurs - Premiere im Wiener Stadtkino.

Die Entführung von Michel Houellebecq (L'enlèvement de Michel Houellebecq)

F 2014. Regie: Guillaume Nicloux. Mit Michel Houellebecq, Marie Bourjala. Stadtkino Filmverleih. 93 Minuten.

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