Lovecraft überdüstert

Werbung
Werbung
Werbung

Michel Houellebecq stülpt Howard Phillips Lovecraft den eigenen Weltekel über. Trotz allem eine einfühlsame Biographie.

Das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume erschreckt mich": Blaise Pascals berühmter Satz, in seinen "Pensées" noch in einen apologetischen Kontext eingebunden, kündigt den Bewusstseinswandel des in die Neuzeit aufbrechenden Menschen an, dessen religiöse Gewissheiten von naturwissenschaftlichen Beobachtungen unterwandert werden.

Metaphysisch entkleidet, düster und bedeutungslos ist die Welt des Michel Houellebecq und seiner Romanfiguren. Die sind ganz und gar mit sich selbst beschäftigt, mit ihrer Existenzsicherung in einem Arbeitsleben, das "Flexibilität", das heißt Anpassung und Unterwerfung, fordert und ihrer permanenten Partnersuche. Houellebecq zeigt sie als rohen und entidyllisierten Kampf um Körper und Geschlechtsteile, bar jeglicher Romantik, in einer direkten, stellenweise vulgären Sprache, ohne ironische Brechungen und somit ohne jede Distanz. Da bleibt wenig Zeit für Reflexionen und Maximen, bestenfalls für eine kleine unkorrekte Schimpfrede, die den Autor schon mal vor Gericht bringt.

Nein, dieser Michel Houellebecq, dessen Romane "Ausweitung der Kampfzone", "Elementarteilchen" und "Plattform" mit kräftiger Unterstützung der konservativen Zeitung "Le Monde" Furore machten, eignet sich wahrlich nicht als literarisches Aushängeschild des neuen Europa. Weder das Europa des freien Marktes noch jenes der Informationstechnologie, nicht das der Emanzipation und schon gar nicht das der Toleranz sind seine Sache. Vielmehr reiht sich der aktive Kettenraucher und Liebhaber schottischen Maltwhiskys in eine Tradition des literarischen und philosophischen Außenseitertums ein, dessen Ahnengalerie Namen wie Joris-Karl Huysmans, Louis Ferdinand Céline und Émil Michele Cioran umfasst. Und als amerikanischen Beitrag Howard Phillips Lovecraft (1890 bis 1937), mit dem sich der erst jetzt auf Deutsch vorliegende Essay Houellebecqs aus dem Jahr 1991 beschäftigt.

Die Biographie dieses Mannes, der immerhin als der bedeutendste Vertreter der phantastischen Literatur nach Edgar Allan Poe gilt, entspricht tatsächlich eher der von Houellebecq gewählten Bezeichnung "Anti-Biographie", nimmt man die Zahl der äußeren Ereignisse und das, was man ein "geglücktes Leben" nennt, als Maßstab: "Lovecraft ist ein Beispiel für all diejenigen, die lernen wollen, wie man im Leben scheitert und vielleicht mit seinem Werk Erfolg hat. Nur, dass das Ergebnis beim zweiten Punkt nicht garantiert ist." Oder, möchte man hinzufügen, die künstlerische Anerkennung sich erst posthum einstellen kann, wie dies bei Lovecraft der Fall war.

Tatsächlich führte er von Kind auf das Leben eines isolierten, abgeschotteten Sonderlings. Der Vater Winfield Scott Lovecraft war Handelsvertreter englischer Herkunft und starb früh an einer Geisteskrankheit. Die Mutter verhätschelte das Kind, steckte es in Mädchenkleider und wickelte ihm Locken. Sein permanent schlechter Gesundheitszustand führte zum Abbruch des Schulbesuchs nach zwei Jahren. Fortan lebte Lovecraft als Autodidakt, studierte Latein, Chemie, Geographie und Astronomie. Das elterliche Haus in Providence, Rhode Island, verließ er nur in der Dunkelheit für kurze Spaziergänge mit hochgezogenen Schultern und gesenktem Kopf. Nach dem Tod der Mutter (1921), die ihre letzten Jahre in einer Nervenheilanstalt verbrachte, lebte er bei zwei Tanten von einem kleinen Erbteil, das er durch gelegentliche Korrekturarbeiten und als Ghostwriter für Autorenkollegen aufbesserte.

1924 heiratete er die einzige Frau seines Lebens, Sonia Greene, die es sich in den Kopf gesetzt hatte, ihn der Welt zuzuführen, und folgte ihr nach New York, wo sie ein kleines Hutgeschäft führte. Das Leben in der "amorphen Bastardstadt", als die der "Einsiedler von Providence" New York empfand, wurde durch den Konkurs von Sonias Geschäft noch erschwert. Der scheue Ästhet sah sich gezwungen, eine Anstellung zu suchen. Das konnte einfach nicht gut gehen im Amerika des großen "Fordschrittes" (Karl Kraus), dessen Autokönig Schulen finanzierte, von deren Lehrplan Sprachen, Literatur, Kunst, Musik und Geschichte gestrichen und einzig der Zusammenhang von Kaufen und Verkaufen gelehrt wurde. Houellebecq zitiert ein Rundschreiben Lovecrafts "an mögliche Arbeitgeber", das gleichermaßen den gewandten Autor wie den weltfremden Eigenbrötler verrät: "Die Vorstellung, der zufolge ein kultivierter Mann von guter Intelligenz nicht schnell Kompetenz in einem Bereich finden kann, der leicht außerhalb des ihm Vertrauten liegt, scheint mir naiv zu sein; dennoch haben mir Ereignisse aus jüngster Zeit ganz deutlich gezeigt, in welchem Maße dieser Aberglaube verbreitet ist. Seit ich vor zwei Monaten damit begonnen habe, eine Arbeit zu suchen, für die ich je nach Natur und Bildung wohl geeignet bin, habe ich fast einhundert Anzeigen beantwortet, ohne auch nur die Gelegenheit wenigstens zu einem befriedigenden Vortrag zu erhalten - und das anscheinend nur, weil ich außerstande bin, auf eine frühere Anstellung im Bereich der in Frage stehenden Industrie zu verweisen, welche die jeweiligen Firmen vertraten. Nachdem es mir in den üblichen Kanälen so ergangen ist, will ich nunmehr versuchsweise in die Offensive gehen."

Die Ehe scheiterte und Lovecraft kehrte 1926 nach Providence zurück. In den letzten Jahren widmete er sich erneut dem Verfassen von "Weird Tales" (Horrorgeschichten), deren geringster Teil zu Lebzeiten veröffentlicht wurde. Dies lag auch an der mangelnden Bereitschaft des Autors, seine schwer lesbaren Manuskripte abzutippen. Nach Lovecrafts Tod publizierte der Arkham Verlag die Erzählungen und sicherte damit seinen Nachruhm, der gerade in den letzten Jahren zu kulthafter Verehrung angewachsen ist. 2001 erschien sogar eine "H. P. Lovecraft Encylopedia".

Houellebecqs biographische Passagen zählen zu den eindrucksvollsten des Buches. Mit Sympathie und Einfühlungsvermögen ergreift er Partei für eine Existenz, die von Armut und Isolation, aber auch von seltener Noblesse und hoher Kreativität geprägt war. Hingegen wirken die in regelmäßiger und etwas monotoner Wiederholung vorgetragenen Ausbrüche des Weltekels und Weltüberdrusses vereinnahmend, wie dem amerikanischen Autor übergestülpt, und es überrascht keineswegs, dass Houellebecq im Vorwort zur deutschsprachigen Ausgabe den Essay als seinen ersten Roman bezeichnet. Die "Romanfigur" Lovecraft ist ideal in die Gedankenwelt Houellebecqs eingepasst. Um die Weltanschauung des historischen Lovecraft darzustellen, erscheint es jedoch fragwürdig, einige wenige Briefe aus einem Konvolut von schätzungsweise einer halben Million (!) herauszupicken, die Houellebecqs Weltsicht nur vordergründig entsprechen. Zu unterschiedlich sind denn doch die Arbeiten der beiden Autoren. Houellebecqs zentrale Themen Geld und Sex sind bei Lovecraft völlig ausgespart und auch vom distanzierten Lebensgefühl des amerikanischen Dandies englischer Provenienz ist bei Houellebecq nichts zu spüren.

Das kosmische Schaudern Pascals wächst sich bei Lovecraft zum kosmischen Grauen, das kosmische Grauen Lovecrafts bei Houellebecq zum irdischen Grausen im schweigenden Kosmos aus. Der Leser sieht sich mit düsteren Welten und düsteren Perspektiven konfrontiert. Zu düster, möglicherweise.

Gegen die Welt, gegen das Leben

H. P. Lovecraft. Von Michel Houellebecq, Übersetzung Ronald Voullié, DuMont Verlag, Köln 2002, 115 Seiten, e 17,90

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung