Europas Gipfel pfeifen auf Sarkozy

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Politisch mag der neue EU-Ratspräsident mit seinen Grenzen Europas durchkommen, alpinistisch nicht: Elbrus übertrumpft Mont Blanc.

Der EU-Weisenrat ignoriert seine Forderung, die Bergsteiger machen sich ihre eigenen Regeln, die Gipfel pfeifen seit jeher auf jedes menschliche Reglement, so wie Göttervater Zeus ebenfalls nie eine Begrenzung akzeptiert hat. Genau diese fordert aber Nicolas Sarkozy: Eine Grundsatzdebatte über die "Grenzen Europas" soll Klarheit schaffen, bis wohin und vor allem bis wohin nicht die EU reicht. Diese Gleichsetzung von Europa und EU ist problematisch, ja falsch - Norweger, Schweizer, Isländer, Ukrainer … würden sich schön bedanken, nicht mehr als Europäer gezählt zu werden, nur weil sie bis dato eine EU-Mitgliedschaft ablehnen. Doch dem französischen Präsidenten, der seit dieser Woche auch der EU präsidiert, geht es mit seiner Forderung nach einer definitiven geographischen Grenzziehung Europas ja ausschließlich darum, einen EU-Ausschließungsgrund für die Türkei zu finden - das hat man gemeinhin angenommen.

Erniedrigte Grande Nation?

Aber vielleicht steckt mehr, Höheres hinter Sarkozys Forderung nach einem nicht zu weit im Osten abgesteckten Europa? Vielleicht verknüpft Monsieur President damit auch den Wunsch, seiner Grande Nation den höchsten Gipfel des Kontinents zu sichern?

Zumindest für die Allgemeinheit, denn für die Bergsteigerzunft hat der französische Mont Blanc gegenüber dem russischen Elbrus bereits den Kürzeren gezogen. Inoffiziell beweist diese Umorientierung nach Osten die stark steigende Zahl der Elbrus-Expeditionen. Offiziell zum höchsten Berg Europas gekürt wird der Elbrus in der "Seven Summits"-Liste. Seven Summits steht für die höchsten Berge der sieben Kontinente. Als solche werden gezählt: der Kilimandscharo (5895 Meter) für Afrika; der Mount Vinson (4892) in der Antarktis; für Asien der Mount Everest (8848 Meter); in Nordamerika der Mount McKinley (6195 Meter) und der Aconcagua (6962 Meter) in Südamerika. Im Fall von Australien und Ozeanien hat sich die 4884 Meter hohe Carstensz-Pyramide in Neuguinea gegen den australischen Mount Kosciuszko (2228 Meter) durchgesetzt. Und in der europäischen Reihung schlägt der Elbrus im Kaukasus mit 5642 Meter die 4808 Meter des Mont Blanc in den französischen Alpen.

834 Meter Ost-West-Gefälle

"Mon Dieu!" wird es ob dieses eklatanten Ost-West-Gefälles nicht nur Sarkozy, sondern so manchem Franzosen entfahren sein. Doch von göttlicher Seite darf sich Frankreich keine Unterstützung erhoffen. Wie bereits angedeutet, hat sich schon Zeus für den Elbrus entschieden - als er seinen Zorn auf Prometheus auf die Spitze treibt. Der Göttervater lässt den menschenfreundlichen Titanen aus der griechischen Mythologie auf den Elbrus schleppen; zur Strafe, weil Prometheus das Zeus-Verbot missachtet und den Menschen das Feuer geschenkt hat. Jahrhundertelang muss Prometheus an einen Felsen angegekettet ohne Speise, Trank und Schlaf ausharren. Und, der Qualen nicht genug, kommt jeden Tag der Adler Ethon und frisst von seiner Leber. Selbst nach seiner Pardonierung bleibt Prometheus an einen Stein gekettet.

Dieser Fels muss ein Lavabrocken sein, denn der Elbrus ist ein wenig aktiver Vulkan. Ist es Zufall gewesen, dass man den Feuerbringer an einen Vulkan gekettet hat? Vielleicht; vielleicht ist den alten Griechen aber auch die vulkanische Natur des Elbrus bekannt. Wissen tun sie vom "König des Kaukasus" jedenfalls, weil sie seine weißen Gletscher leuchten sehen, wenn sie mit ihren Schiffen über das Schwarze Meer fahren.

Das Schwarze Meer bildet den südlichen Abschnitt der seit 1730 vom schwedischen Offizier Philip Johan von Strahlenberg im Auftrag des russischen Zaren festgelegten Grenze zwischen Europa und Asien. Im Norden definiert Strahlenberg das Uralgebirge und den Uralfluss als Trennlinie. Doch dazwischen tut sich der Schwede im Zarendienst schwer. Er wählt die Manytschniederung, eine 700 Kilometer lange sumpfige Ebene nördlich des Kaukasus.

Zwei große Europäer

Eine ungewöhnliche Entscheidung, suchen alle Grenzzieher aller Zeiten doch nach markanten Grenzlinien. Doch der Kaukasus gehört damals nicht zu Russland - und bei Europas Ostgrenze entscheidet in Ermangelung eindeutiger geographischer Merkmale seit jeher die Politik. Heute lassen viele Geographen Europa aber lieber, weil logischer, am Hauptkamm des Kaukasus enden - und damit bekommt der Elbrus sein seit Zeus verbürgtes Recht zurück, Europas Höchster zu sein. Und die Bergsteiger schließen sich dieser Meinung gerne an, sind froh, damit einen guten Grund zur Besteigung dieses "leichten" Fünftausenders zu erhalten. Außerdem wäre Europa mit dem Mont Blanc das Schlusslicht in der Liste der sieben Höchsten aller Kontinente - mit dem Elbrus kann Europa wenigstens die Antarktis und Ozeanien unter sich lassen. Das sollte letztlich auch Präsident Sarkozy überzeugen, will er doch in den nächsten sechs Monaten und darüber hinaus ein großer Europäer sein.

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