Flaneure mit Kamera fotografieren Frauen

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Die Wiener Galerie WestLicht zeigt Garry Winogrands Fotoserie "Women are beautiful". Die Fotos aus den 1960er- und 1970er-Jahren zeigen die damals neue, selbstbewusste Frauengeneration. Dazu widmet die Galerie Miroslav Tichy´ eine ergänzende Kabinettausstellung.

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Die Wiener Galerie WestLicht zeigt Garry Winogrands Fotoserie "Women are beautiful". Die Fotos aus den 1960er- und 1970er-Jahren zeigen die damals neue, selbstbewusste Frauengeneration. Dazu widmet die Galerie Miroslav Tichy´ eine ergänzende Kabinettausstellung.

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Einem Künstler kann wohl kaum etwas Besseres passieren, als wenn sich einige Leute lauthals über sein Werk empören. Das verschafft ihm automatisch Aufmerksamkeit. Eine Aufmerksamkeit, die ihm andernfalls womöglich entgehen würde.

Im Nachhinein können wir natürlich nur spekulieren. Aber es ist gut möglich, dass auch Garry Winogrands (1928-1984) Fotoserie "Women are beautiful", aufgenommen in den 1960er- und 1970er-Jahren und 1975 im gleichnamigen Buch veröffentlicht, nicht weiter beachtet worden wäre, wenn nicht eine Gruppe von Feministinnen, darunter an vorderster Front eine Schwägerin des New Yorker Fotografen, heftig dagegen opponiert hätte. Ein Skandal, das weibliche Geschlecht auf sein Äußeres zu reduzieren! Menschenverachtend! Diese Serie, 2008 von der Madrider Sammlerin und Kuratorin Lola Garrido erworben, ist nun in Wien zu sehen, in der Galerie Westlicht. Heute fällt es uns schwer, die damalige Aufregung nachzuvollziehen.

Zu sehen sind auf Winogrands Bildern, no na, Frauen. Schöne Frauen. Frauen vorzugsweise mit großer Oberweite und tiefem Ausschnitt. Wenn man so möchte, aufgenommen mit einem typisch männlichen Blick.

Winogrand fand seine Foto-Objekte in seiner Heimatstadt New York, auf der Straße, vorzugsweise im Park. Seine Aufnahmen schoss er im Vorbeigehen. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der Horizont auf vielen Bildern schief ist. Er hätte ihn in der Aus-und Nachbearbeitung gerade rücken können, auch in der vordigitalen Zeit war das kein Problem, doch ihm kam es offensichtlich darauf an, mit diesem kleinen "Fehler" das Spontane, Zufällige und Ungekünstelte seiner Arbeit zu betonen.

Dokumente des Aufbruchs

Die Aufnahmen, alle in Schwarzweiß, strahlen etwas Leichtes und Vergnügtes aus. Das liegt zum großen Teil daran, dass die Frauen nicht bei der Arbeit, sondern in ihrer Freizeit aufgenommen worden sind. Sie gehen spazieren, shoppen oder baden. Und spazieren ging auch Winogrand. Ein Flaneur mit der Kamera. Zur Ausstellungseröffnung war Lola Garrido nach Wien gekommen. Sie machte in ihrer Rede auf ein Detail in Winogrands Bildern aufmerksam: Viele der abgelichteten Frauen sind alleine unterwegs. In ihrer Sicht ein schönes Dokument des Aufbruchs einer neuen, selbstbewussten Frauengeneration, die ihre eigenen Wege ging, ohne Partner, und sich auch die Freiheit herausnahm, sich etwas freizügiger zu kleiden. Nach heutigen Begriffen war Winogrand ein "Straßenfotograf". Immer unterwegs, immer auf der Suche nach dem "entscheidenden Augenblick", den Cartier-Bresson propagiert hatte.

Winogrands Werkzeug: eine kleine Kamera, handlich und unauffällig. Man darf nicht vergessen, dass die Kleinbildkamera erst Mitte der 1920er-Jahre aufkam, die solche Reportagefotos überhaupt möglich machte. Zuvor mussten sich die Fotografen mit mehr oder weniger sperrigen Geräten abmühen.

Ergänzt wird die WestLicht-Schau mit einer Kabinettausstellung von Fotos des tschechischen Künstlers Miroslav Tichy´ (1926-2011). Das verbindende Element: Auch Tichy´ war mit seiner Kamera stets in den Straßen unterwegs, in seiner Heimatstadt Kyjow, auch er fokussierte sich mit ähnlicher Obsession auf Frauen. Der Unterschied: Der tschechische Künstler machte seine Aufnahmen mit einer aus Altwaren selbst konstruierten Kamera, mit der Folge, dass den Bildern eine gewisse Unschärfe anhaftete. Eine Unschärfe, die sehr viel später, erstmals 2004 auf der Kunstbiennale in Sevilla, als Kennzeichen und besondere Qualität dieses Künstlers gefeiert wurde: Die Frauen sehen auf seinen Bildern aus wie Erscheinungen zwischen Traum und Wirklichkeit.

Tichy´ hatte immer ein zurückgezogenes Leben geführt, auch nie Aufhebens um seine Arbeiten gemacht. Er musste 78 Jahre alt werden, um von der internationalen Kunstwelt entdeckt zu werden. Das Centre Pompidou in Paris (2008) und das International Centre oft New York (2010) widmeten ihm Einzelpräsentationen. Dem Künstler war das mehr oder weniger egal. Er nahm an keiner dieser Veranstaltungen teil. Immerhin wurde er auch von dem Vorwurf verschont, frauenfeindliche Kunst zu schaffen.

Garry Winogrand. Women are beautiful

WestLicht, bis 3. August, www.westlicht.at

Di-Fr 14-19, Do bis 21 Uhr, Sa, So 11-19 Uhr

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