Gegen die triste Fußball-Gegenwart

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Der Schweizer Performance-Künstler Massimo Furlan belebt bei den Wiener Festwochen das Wunder von Córdoba.

Der Sport hat ein seltsames Verhältnis zur Zeit. Denn obwohl sich Sport ausschließlich in der Gegenwart abspielt, wird er bevorzugt in einer Vergangenheitsperspektive wahrgenommen. Wie kaum ein anderes alltagskulturelles Phänomen besitzt der Sport auch ein hohes Erinnerungspotenzial. Die Erinnerung an herausragende sportliche Ereignisse dient der Erzeugung einer ewigen Gegenwart. Anders gesagt ist die permanente Vergegenwärtigung des Vergangenen gegen die schlechte Gegenwart gerichtet.

Im Rahmen der Wiener Festwochen hat der Schweizer Performance-Künstler Massimo Furlan zu einer Reise in die bessere Vergangenheit des österreichischen Fußballs geladen. Die Zeitreise ging nach Argentinien zur Fußball-WM 1978, wo jenes so tief im kollektiven Bewusstsein der Republik verankerte legendäre Spiel stattfand, in dem das kleine Österreich den amtierenden Weltmeister Deutschland 3:2 besiegen konnte und so den ewigen Rivalen zwang, ebenfalls die Heimreise anzutreten.

Etwa 3000 Zuschauer folgten Furlan zu seinem "Fußballtheater für 1 Spieler" ins lichtdurchflutete Wiener Hanappi-Stadion. Was sie zu sehen bekamen, war weniger die Rekonstruktion dieses Spiels als vielmehr ein 90-minütiges Solo ohne Ball. Im rot-weißen Originaldress mit der Nummer 9 spielte Furlan in einer sparsamen und präzisen Choreografie die Dribblings und Torschüsse von Hans Krankl nach sowie vor allem dessen eindrücklich, schleichenden Laufstil' vor.

Der Star des Abends war unbestritten die Stimme des Live-Kommentators Edi Finger jun. Aus einem einer Bierdose nachempfundenen Radio, das beim Betreten der Nordtribüne an jeden Besucher ausgegeben wurde, ergoss sich während 90 Minuten dessen ununterbrochener Wortschwall, eine subtile Mischung aus Ressentiment, Stammtischphilosophie und Vulgärpsychologie, der erst den Hörfilm des Spiels entstehen ließ. Dem O-Ton seines Vaters nachempfunden türmte er virtuos Wortkaskade auf Kaskade bis hin zu jenem "Tor, Tor, Tor - i wead narrisch", das so manchen alpenländischen Fußballfan für Jahre die magere Gegenwart vergessen ließ.Dankbar spielten auch die Zuschauer als Kollektiv ihre Rolle: die eines begeisterten Publikums.

Im Sport werden die alten Zeiten nie wirklich alt. Jedes neue Erzählen bedeutet ein erneutes Hineinholen des Vergangenen in die jeweilige Gegenwart. Ob der Sport auch eine Affinität zur Zukunft hat? Am 16. Juni werden wir es wissen. Da soll Wien Córdoba werden. Weil sich Geschichte aber selten wiederholt, könnte das auch heißen: wir sehen keinen Ball.

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