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Hauptmanns Atriden-Tetralogie

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Ein Ensemble des Burgtheaters brachte Gerhart Hauptmanns Atriden-Tetralogie in einer zyklischen Leseaufführung zu Gehör. Das ist eine verdienstvolle Tat für das Werk, dessen Eckpfeiler, „Iphigenie in Aulis“ und „Iphigenie in Delphi“, während des letzten Krieges durch das Burgtheater aufgeführt wurden und dessen Mittelstücke, „Agamemnons Tod“ und „Elektra“, in Wien bis jetzt nur wenigen, die das Werk durch das Buch kennenlernen konnten, bekannt waren. Das vielschichtige Werk bedarf nach mehr als einer Richtung gründlicher Durchleuchtung. Es ruht auf chthoni-schem Boden. In eine primitive barbarische griechische Urzeit bewußt versetzt, liegt über dem viergliedrigen Bau des Werkes der Riesenschatten der schwarzen Erdmutter, mögen ihre Namen Hekate, Persephonaia oder schwarze Madonna und Sophia sein. Da zeigt Hauptmann, der Schüler Jakob Böhmes, daß zwischen Böhmes Sophia-Mythus und der gnostischen Muttergottheit der alten Kulte tiefe Zusammenhänge besteben. So zieht denn auch der düstere Reigen von Hauptmanns Atridengestalten seine stärksten Kräfte au6 dem Boden, aus chthonischem Bereich. Mit diesem Aufleuchten der Verbindungsstränge zum Erdnabel verknüpft der Dichter folgerichtig eine eindringliche Milieukunde und Stimmungs- und Naturskaia, die die Gestalten In magisches Licht und Erddämpfe einhüllt. Der Eingang der Tetralogie lebt unter dem Einbruch des Weltchaos. In tiefster Tiefe beginnt das Werk. Fast im Sinne Bachofens kommentierend, führt uns der Dichter auf dem Weg zur Höhe, den die Tetralogie einschlägt, in die Welt des Rächers Orest, dessen Amt es ist, zwischen der Todesgöttin Hekate und dem Lichtgott Apoll, deren Bruder, sich aufopfernd einzudrängen D?m<t wird Orest zum Heil-bringer, dessen helldunkles Los erst den in „Iphigenie in Delphi“ erreichten Durchbruch des Lichtes ermöglicht. Hauptmann hat sein Werk mit einer Fülle von griechischer Sachkunde bekränzt und durchtränkt, um möglichste Dichte der atmosphärischen Spannung zu erreichen.

Es liegt in der Natur der Sache, daß eine Leseaufführung einz'g durch das Wort zu wirken vermag Grundanliegen einer solchen Aufführung muß die Abgestimmtheit der Sprecher sein. Leidet war diese innere Harmonie in dieser Aufführung nicht ganz gelungen. Starke Sprecher waren neben recht blassen Leistungen zu hören, Die großen Aufgaben, die die Tetralogie stellt, liegen gerade in einem nur für dieses Werk zu schaffenden Darstellungsstil, der einem ins Ubermenschliche gehobenen Realismus zum Ausdruck verhelfen soll. Mit noch so schönem Sprechen wird man an dieses Geheimnis des Werkes nie herankommen. Allein der Sinn des Abends lag nicht und konnte auch nicht in kongenialer Verwirklichung, sondern nur auf didaktischer Ebene liegen. Eine neue Jugend lernte ein für sie neues Werk kennen: wer die bisher dargestellten Teile kannte, erfuhr nun von dem inneren Zusammenhang der ganzen Dichtung.

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