Im blauen Salonwagen friedlich zuckeln

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Gründungsmythos und ideologische Gräben - die Erinnerungskultur an die tschechoslowakischen Legionäre ist eine divergente. Betrachtungen zum österreichischen Nationalfeiertag am 26. und zum tschechischen am 28. Oktober.

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Gründungsmythos und ideologische Gräben - die Erinnerungskultur an die tschechoslowakischen Legionäre ist eine divergente. Betrachtungen zum österreichischen Nationalfeiertag am 26. und zum tschechischen am 28. Oktober.

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Heinz Fischers letzter Staatsbesuch am 11. und 12. April 2016 führte in die Tschechische Republik und Gastgeber Milos Zeman hatte dafür etwas Hübsches ausgeheckt: In den Sonderzug, der den Bundespräsidenten zu seinem Landsitz brachte, spannte er den Salonwagen Franz Ferdinands ein. Mit dem war 1921 der erste österreichische Bundespräsident Michael Hainisch zu Tomás G. Masaryk, dem ersten Staatspräsidenten der Tschechoslowakei, angereist. Im Bahnhof von Stochov schritten Fischer und Zeman dann eine Formation tschechischer Soldaten in Uniformen der Legionäre ab, die im Ersten Weltkrieg gegen Österreich-Ungarn gekämpft hatten.

Selbst Kritiker Zemans hätten diesem die versöhnliche Absicht bei diesem Szenario zugute gehalten, die österreichischen Journalisten hätten sich jedoch nur für das Trennende interessiert, bedauert Michal Novotny´, der als Direktor des Prager Eisenbahnmuseums für den blauen Salonwagen verantwortlich ist, der in einem Schuppen am Prager Masaryk-Bahnhof abgestellt ist. In den nächsten Jahren soll dort im Rahmen des Nationalen Technischen Museums ein neues Eisenbahnmuseum entstehen.

Von Zborov zur Anabasis

Im August 2016 gastierte neben dem Schuppen ein Zug ganz anderen Kalibers: ein nachgebauter russischer "Legiovlak", der in Erinnerung an den Ersten Weltkrieg von 2014 bis einschließlich 2019 kreuz und quer durchs Land fährt und an ausgesuchten Bahnhöfen jeweils einen Monat lang Halt macht. Während der Schulzeit kämen täglich acht bis zehn Schulklassen, berichtet Herr Votava, Fremdenführer auf der Prager Burg und hier Einsatzleiter der Tschechoslowakischen Legionärsgemeinde, die das Dutzend holzverschalter Wagen hergestellt hat und den Zug betreibt. Eine wahre Königsidee, denn selten hat eine Ausstellung einen Erlebnischarakter wie diese.

In kleinen Dosen wird hier die Geschichte der Legionäre in Russland verabreicht, beginnend mit einem Film und endend mit einem Geschützwagen. Landkarten lassen über die Dimensionen des Unternehmens staunen: Zunächst im Dienste der Zarenarmee hatten die Soldaten - Bürger Russlands und Überläufer der k.u.k. Armee - am 2. Juli 1917 maßgeblichen Anteil am Durchbruch bei Zborov in Galizien, der der Kerenski - Offensive freilich keinen dauernden Erfolg sicherte.

Nach der Oktoberrevolution im selben Jahr gerieten die Legionäre in Bedrängnis; um ihre Neutralität zu bewahren, sollten sie aus der Ukraine über Wladiwostok nach Europa zurückkehren und an der Seite der Franzosen gegen die Mittelmächte weiterkämpfen. Unversehens wurden die Legionäre, die zur Zerschlagung der Donaumonarchie ausgerückt waren, zu Akteuren im Russischen Bürgerkrieg, wobei die große Mehrheit gegen die Sowjets optierte. Die Anabasis, wie der Rückzug im Rückgriff auf Xenophon von den Tschechen genannt wird, dauerte insgesamt zwei Jahre lang. Am 31. August 1918 beherrschten die Legionäre von ihren Zügen aus die gesamte Magistrale von der Wolga bis an den Pazifik. Der Weltrekord einer ambulanten Postverwaltung mit über 7000 Kilometern Reichweite sei bis heute unerreicht und von vier Millionen Sendungen seien nur vier nicht zugestellt worden, sagt Einsatzleiter Votava. Insgesamt kehrten durch den Suez- und Panamakanal 76.644 Personen in die Heimat zurück.

Der Kult der Legionäre

Die Legionäre vor allem in Frankreich und Russland hatten durch ihren Einsatz in separaten Einheiten wesentlichen Anteil daran, dass die Tschechoslowakei von der Entente als kriegsführende Macht anerkannt wurde. Zuhause beteiligten sich die Legionäre an der Eingliederung der Slowakei in den neuen Staat und an der Abwehr der ungarischen Streitkräfte vor allem zur Zeit der Räteregierung Béla Kúns. Bedeutende Künstler wie Frantis ek Kupka und Alfons Mucha beförderten den Kult der Legionäre ebenso wie Josef Goc ar, der mit dem Gebäude der Legiobank ein Hauptwerk des tschechischen "Nationalstils" schuf. Die Legionen gehören zu den Arkana, ohne die die tschechische Politik nicht zu verstehen ist.

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