Linklater - © EPA / Jens Kalaene

Filmregisseur Richard Linklater: "Wien ist viel gleicher geblieben"

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Mit "Before Sunrise“, der Entdeckung Wiens in einer Nacht, fing alles an. 19 Jahre später hat Regisseur Richard Linklater "Before Midnight“, den dritten Teil, realisiert.

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Mit "Before Sunrise“, der Entdeckung Wiens in einer Nacht, fing alles an. 19 Jahre später hat Regisseur Richard Linklater "Before Midnight“, den dritten Teil, realisiert.

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Anno 1995, "Before Sunrise“, begann die Kultfilm-Beziehung zwischen Ethan Hawke und Julie Delpy mit Richard Linklater. Die beiden spielten die 23-jährigen Bahntramper Jesse und Celine, die in Wien eine Nacht verbringen. Neun Jahre später, "Before Sunset“, wurden sie in Paris ein Paar. 2013, wieder neun Jahre später, sind sie in Griechenland, "Before Midnight“. Und zum dritten Mal ist Richard Linklater der Regisseur im Bunde.

DIE FURCHE: Sie haben Ihre "Before“-Trilogie in Wien begonnen. Wie sehen Sie die Stadt heute?
Richard Linklater:
Wien hat unsere Erfahrungen geprägt. Ich hatte "Before Sunrise“ in den USA konzipiert und fuhr 1990 nach Berlin. Ich war zuvor nie als Rucksacktourist in Europa. Aber Berlin schien mir nicht geeignet. Als ich dann 1993 zur Viennale kam, mochte ich die Menschen hier und fand eine pulsierende Stadt vor. Und ich traf Leute, die mir auch finanzielle Unterstützung anboten. Ich folgte meinem Riecher - genauso habe ich es jetzt in Griechenland gemacht. Ich nehme es als Zeichen der Filmgötter. Dieser erste Film war die Entdeckung einer Stadt, zumal die beiden Darsteller auch nicht von hier waren. Sie spielten zwei auf der Durchreise, die versuchen, Wien in einer Nacht zu entdecken auf genau dieselbe Weise, wie sie einander kennenlernen.

DIE FURCHE: Sie kommen in diesem Film auch an Orte, die die meisten Wiener selber nicht gekannt haben. Drei Fremde machten das Lebensgefühl dieser Stadt sichtbar.
Linklater:
Das gibt es oft: Einige meiner bevorzugten Filme über Texas wurden von Leuten gemacht, die von weit her kamen. Ein neuer Blick auf einen Ort ist wichtig. Es ist schon gut, auch die Klischees zu kennen. Aber dann sucht man das Ausgefallene, das, worauf andere nicht schauen.

DIE FURCHE: Hat sich Wien seit 1995 verändert?
Linklater:
Wien ist viel gleicher geblieben, als es verschiedener geworden ist. Der zentrale Charakter ist immer noch da. Das ist ganz normal. Es sind ja nur 19 und nicht 100 Jahre vergangen.

DIE FURCHE: Wie ist es mit Paris, der nächsten Station der Trilogie?
Linklater:
"Before Sunrise“ erforscht Wien, während "Before Sunset“ das bei Paris keineswegs tut. Dort sind Celine und Jesse miteinander beschäftigt: Da spielt die Stadt kaum eine Rolle. Natürlich ist sie im Hintergrund da, aber es findet keine Interaktion mit ihr statt. In "Before Sunrise“ hingegen geht es auch darum, Wien eine Nacht lang zu sehen. Das ist eine andere Beziehung. Die beiden sind wie Geister, die durch die Stadt streifen. In Paris ist das anders. In "Before Sunrise“ waren beide an nichts gebunden, es gab keine Erwartungen. In "Before Sunset“ sind die Leben anders. Jesse arbeitet, ist verheiratet, hat einen Sohn, die Wirklichkeit des Lebens ist viel präsenter. In "Before Midnight“ ist es das noch mehr. Der dritte Film ist das Porträt einer Familiensituation, es ist ganz anders als mit 23 in Wien oder mit 32 in Paris …

DIE FURCHE: Wenn "Before Midnight“ nicht in Griechenland spielte?
Linklater:
Der Ort ist der letzte Teil des Puzzles. Wir hätten das Haus eines Schriftstellers, den Ausgangspunkt des Films, anderswo ansiedeln können. Aber an Griechenland ist etwas Archaisches, die Dimension der Ewigkeit.

DIE FURCHE: Die Filmgötter haben Sie also auch dorthin geführt …
Linklater:
… na ja, wir haben einige besondere Locations gefunden, und wie in Wien war es ein Land, das mit uns arbeiten wollte. Wenn du mit dem Bürgermeister Freundschaft schließt oder ein Flughafen froh ist, ins Bild zu kommen: So etwas erlebt man in Paris nicht.

DIE FURCHE: War die aktuelle Krise in Griechenland für Sie spürbar?
Linklater:
Ja. Wir haben überlegt, das in den Film einfließen zu lassen Aber ich will nicht darüber richten, wie es in einem Land zugeht. Meine Meinung dazu interessiert niemanden. Julie war besorgt, ob es zu einer Revolution kommt. Aber unsere griechische Crew hat uns versichert, die Revolution, so sie überhaupt stattfinden würde, würde nicht vor dem Herbst kommen. Die Griechen machen nie etwas im Sommer.

DIE FURCHE: Sie, Ethan Hawke und Julie Delpy haben das Drehbuch gemeinsam verfasst. Wie geht das?
Linklater:
Das ist schwer zu beschreiben. Wir drei waren gleichberechtigt. Julie hat niemals nur die Person der Celine im Blick gehabt und Ethan nie nur den Jesse. Wir kennen uns nun schon lang genug. Wir drei stehen in einer sehr coolen Beziehung zueinander. Das ist schon einzigartig.

DIE FURCHE: Kommen so Ihre Persönlichkeiten ins Drehbuch?
Linklater:
Der Film ist für uns drei etwas sehr Persönliches. Es ist ein Porträt von uns in einem bestimmten Augenblick. Das ist nicht unbedingt autobiografisch, aber doch sicher sehr persönlich.

DIE FURCHE: Das heißt, das Drehbuch wäre ohne diese einzigartige Zusammenarbeit völlig anders.
Linklater:
Wir sind eine Band - wir drei sind eins. Wenn einer von uns meint, dass etwas nicht gut ist, dann machen wir es nicht. Wir fordern von uns den einhelligen Zugang zu allem, was im Film dann zu sehen ist. Zumindest zu 95 Prozent. Wir haben vieles hinausgeschmissen, weil es einem oder zweien oder allen nicht gefallen hat.

DIE FURCHE: Man meint nach den drei Filmen, Sie alle gut zu kennen.
Linklater:
Celine ist aber nicht Julie und Jesse ist nicht Ethan …

DIE FURCHE: … aber man glaubt dennoch, Sie drei zu kennen …
Linklater:
… und vielleicht hat man ja eine Idee davon.

DIE FURCHE: In "Before Midnight“ ist die Psychologie der Figuren wichtiger als in den anderen Filmen.
Linklater:
Das stimmt, denn es steht mehr auf dem Spiel. Das Leben ist komplizierter - aber auch tiefer. Ich würde nicht sagen, dass es gleichermaßen romantisch ist. Es war ein schwieriger Film.

DIE FURCHE: Aber er ist doch auch biografisch: Beim ersten Film waren Sie drei 19 Jahre jünger. Nun haben Sie 19 Jahre mehr Lebenserfahrung. Man spürt das.
Linklater:
Ich verstehe das. Da ist einmal die lange Beziehung zwischen Jesse und Celine. Und da ist auch die lange Beziehung zwischen Julie, Ethan und Richard. Die ist viel sanfter, denn wir drei leben nicht zusammen. Es ist ein Unterschied, wenn das Leben eine künstlerische Beziehung ist und nicht ein familiäres Zusammenleben. Aber wir haben unsere bereichernde Langzeitbeziehung.

DIE FURCHE: Ist diese Beziehung nun an ihr Ende gekommen?
Linklater:
Das würde mich überraschen - auch wenn niemand weiß, was die Zukunft bringt. Zweimal hat ja die Band wieder zusammengefunden. Aber es gibt keine Pläne dafür im Augenblick.

Dieses Interview erschien in der Printausgabe der FURCHE unter dem Titel: "Julie, Ethan, Richard in einer Band"..

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