"Lebenskrisen in Filme VERWANDELT"

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Ethan Hawke, der nun mit der Nick-Hornby-Verfilmung "Juliet, Naked" ins Kino kommt, ist eigentlich zu jung für einen Preis fürs Lebenswerk. Mit 47 wurde ihm vergangenen Sommer jedoch in Locarno ein ebensolcher überreicht. Anlass genug für Hawke, im Interview über seine bisherige Arbeit nachzudenken. Immerhin hat er mit Filmen wie "Before Sunrise","Training Day","Boyhood" und zuletzt Paul Schraders intensiven Priesterdrama "First Reformed" eine Palette an Figuren gespielt hat, die sein breites darstellerisches Können abbilden.

DIE FURCHE: Kommt eine Auszeichnung fürs Lebenswerk nicht etwas früh?

Ethan Hawke: Das Witzige ist: Ich liebe meine Arbeit so sehr, dass ich überhaupt gar nicht verstehen kann, einen Preis dafür zu erhalten. Sie ist integraler Bestandteil von mir. Das ist, als würde man mich auszeichnen, weil ich eine Nase im Gesicht habe. Mein Freund Richard Linklater sagt, solche Preise sind eine Art Bestätigung für deine bisherige Leistung, ein Check-up in der Mitte deiner Karriere. Danach beginnen dich alle zu hassen, und dann kommt es darauf an, dass du lange genug überlebst, bis du zum nächsten Punkt deiner Karriere gelangst: Dann laden sie dich ein, Jury-Präsident des Festivals zu sein (lacht). Aber ich muss sagen: Es ist schon seltsam, 47 zu sein und bereits seit 30 Jahren Filme zu machen.

DIE FURCHE: Haben Sie Ihre Midlife-Crisis schon hinter sich?

Hawke: Alle haben irgendwann eine Midlife-Crisis. Manche fangen an, Drogen zu nehmen oder zu trinken. Ich habe meine Lebenskrisen immer in Filme verwandelt. Viele Menschen wollen im Leben immer noch mehr erreichen, es gibt diesen einen großen Berg, auf den sie klettern wollen, um von dort mit einer Blume zurückzukehren, die noch niemand zuvor gefunden hat. Aber das ist ein Irrglaube -mit so einem Antrieb wird man nicht glücklich. Die Herausforderung im Leben muss man nicht krampfhaft suchen, sie wurde einem schon mit in die Wiege gelegt. Um das zu erkennen, musste ich erst einmal mich selbst akzeptieren, so wie ich bin. Seither meistere ich jede Krise. DIE FURCHE: Und davor?

Hawke: Früher dachte ich, jedes Problem ließe sich mit Arbeit lösen. Ich habe einfach noch mehr gearbeitet, bis die Probleme außer Sichtweite waren. Das war in der Zeit, als meine erste Ehe (mit Uma Thurman, Anm.) scheiterte. Das war eine der bittersten Erfahrungen meines Lebens. Damals stürzte ich mich als Reaktion in die Theaterarbeit. Sie hat für Schauspieler eine seltsame Heilungskraft, weil man dort mit seinen inneren Widerständen konfrontiert wird.

DIE FURCHE: Wie haben sich die Maßstäbe verändert, die Sie an Ihre Arbeit anlegen?

Hawke: Als junger Schauspieler will man gar nicht gut gefunden werden, denn das macht es ja unmöglich, als Grenzgänger zu gelten, was man zweifellos sein will in jungen Jahren. Das hat viel mit Ego zu tun. Ich hatte Glück, dass meine Eltern ihren religiösen Glauben als einzigen Maßstab im Leben anlegen. Sie hätten mich nicht mehr oder weniger geliebt, wenn ich einen Preis als bester Schauspieler in Venedig oder Cannes gewonnen hätte. Mein Vater liebt mich genau so wie seine anderen Söhne. Als junger Mensch findest du diese Einstellung kitschig. Aber im Alter findest du heraus, dass das nichts Kitschiges hat. Sondern, dass das eine Realität ist. Und dass rundherum die Menschen an ihrem Egotrip scheitern, weil sie sich selbst viel zu wichtig nehmen.

DIE FURCHE: Sie haben mit vielen unterschiedlichen Regisseuren gearbeitet. Wie hat sich die Arbeit verändert?

Hawke: Es gibt keine richtige oder falsche Art, einen Film zu drehen. Es gibt verschiedene Wege, das zu tun. Paul Schrader gab mir in "First Reformed" (2017) einen der herausforderndsten Parts meiner Karriere.

Und das war ein ganz anderes Gefühl, als in "Before Sunrise" zu spielen. Obwohl beides Schauspielerei ist, kann man schwer sagen, dass es bei den beiden Filmen derselbe Job war. "Gattaca"(1997) von Andrew Niccol war einer der besten Erstlingsfilme, die ich kenne. Aber als "Gattaca" herauskam, nahm davon fast niemand Notiz und der Film verschwand wieder. Dasselbe galt für "Reality Bites" oder "Before Sunrise". Und doch: 25 Jahre später sitze ich da und rede immer noch über diese Filme. Weil sie die Zeit überdauert haben.

DIE FURCHE: Sie haben mit Julie Delpy bereits zwei Sequels zu "Before Sunrise" gedreht. Kommt ein vierter Teil?

Hawke: Ich denke, die Filme wirken als Trilogie sehr organisch. Es gibt aber noch eine Idee von mir, die ein total anderes Licht auf die beiden werfen würde, und das fände ich reizvoll. Da gab es doch diesen Film vor ein paar Jahren, mit den alten Menschen, die im Sterben liegen ... Wie hieß der gleich? DIE FURCHE: "Amour" von Michael Haneke.

Hawke: Ja, genau. Als Julie den Film gesehen hatte, schrieb sie mir: "So ein Mist, sie haben unseren vierten Teil schon gedreht" (lacht). Und dann schrieb ich ihr ein paar Tage später, ich hätte einen Traum über unseren vierten Film gehabt: Er würde total erotisch sein und wir würden die ganze Zeit Sex haben, anstatt zu reden. Wie in einem frühen Bertolucci-Film! Mal sehen, ob sie sich darauf einlässt.

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