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DER LOHN DER ANGST

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Als wir den bekannten Sowjetkomponisten Dimitri Schostakowitsch zum letzten Male in Wien sahen und sprachen (das war nach der Operneröffnung im November 1955), wirkte er überaus nervös und ängstlich-vorsichtig in seinen Äußerungen. Zwar war die Zeit der „Schdariowtschina“, der gestrengen und reaktionären Kunsterlasse, längst vorbei. Aber jene scharfen Belehrungen und Zurechtweisungen, die sich Schostakowitsch sowie seine Komponistenkollegen Prokofieff und Chatschaturian gefallen lassen mußten, hatten ihre Wirkung ebensowenig verfehlt wie die ständigen Angriffe des Sowjetischen Komponistenverbandes. — Trotzdem ist Schostakowitsch als Künstler seiner Natur im großen und ganzen treu geblieben. Und so hat denn auch seine X. Symphonie wieder ein ziemlich heftiges Für und Wider im sowjetischen Blätterwald ausgelöst.

Nun hat Dimitri Schostakowtisch nach längerer Pause wieder einmal das Wort ergriffen, und zwar in der „Prawda“. In diesem aufsehenerregenden Artikel unterscheidet Schostakowitsch zwischen der „wahren und echten Avantgarde, westlicher Kunst“ - und den „atonalen Modernisten“. Deren „neue Ästhetik“ sei eine Ausgeburt der alten Welt, die auf immer in die Vergangenheit entschwindet. „Sie ist von Menschen geschaffen“, meint Schostakowitsch, „die die Gegenwart fürchten und nicht an die Zukunft glauben, die einen verbrecherischen Versuch unternehmen, die herrliche Sprache der Musik, die jedem klar und verständlich ist und keiner Übersetzung bedarf, zu verwirren' und aus einem Mittel der Einigung in ein Mittel der Entzweiung der Menschen zu verwandeln.“

Aber spricht nicht Schostakowitsch selbst in diesem Artikel eine Sprache, die eher geeignet ist, zu verwirren und zu trennen, als das Verständnis zu fördern und „zu einigen“? Hierbei ist et nur ein geringer Trost, daß sich unter den Komponisten, die er als wertvoll bezeichnet, Namen finden, die auch bei uns geschätzt werden, wie Bartök, Homegger, Milhaud, Poulenc, Orff, Villa-Lobos, Britten u. a.

Den Lohn für diesen antimodernistischen Artikel erhielt er sozusagen postwendend: Der berühmte Sowjetkomponist Dimitri Schostakowitsch wurde als „Kandidat“ für die KPdSU aufgenommen. Also, um in einer uns geläufigeren Sprache zu reden: als „Parteianwärter“ zugelassen ...

Ob sich das gelohnt hat? Aber es zeigt wieder einmal, wie groß dort die Partei und wie klein der einzelne ist, auch wenn er Schostakowitsch heißt.

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