Nichts von Schnitzlers "Seelenintensität“

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Das Wiener Volkstheater scheitert grandios an Arthur Schnitzlers Drama "Der einsame Weg“: Zu laut, zu grell, zu sehr an der Oberfläche.

Arthur Schnitzlers Gesellschaftsdramen - hochaktuell und treffsicher in ihrer Analyse um die Kommunikationslosigkeit von Menschen, die "sich so nahe sind und doch alle voneinander nichts wissen wollen“ - sind gewaltig en vogue. Nach den (Wettbewerbs-)Premieren von "Das weite Land“ zu Saisonbeginn stellt sich nun das Wiener Volkstheater dem 1903 verfassten Stück "Der einsame Weg“.

Am Text vorbei inszeniert

Der 32-jährige Alexander Nerlich, unter Dieter Dorn Hausregisseur am Münchner Residenztheater, hält sich streng an den Text und inszeniert zugleich komplett daran vorbei. Eine erstaunliche Leistung bei diesen exzellenten Dialogen und der dichten Atmosphäre, die Schnitzler selbst als "Seelenintensität“ bezeichnete. Bei Nerlich ist davon nichts zu spüren, hier sind die Figuren vielmehr laute, wild artikulierende Gestalten, die den Blick auf deren innere Leere durch Überaktivität verstellen. Manieriert geben sie ihre Wünsche, Ängste und Erinnerungen preis, welche sich in einem ausgestopften Löwen aus dem Naturhistorischen Museum manifestieren. Die Symbolik dahinter brauchte es aber gegen Ende dieser knapp dreistündigen Produktion nicht mehr. Denn schon in den ersten Momenten ist klar: Hier sind alle Figuren nur leere Hülsen ohne Perspektive.

Schnitzler hat das Drama im Künstler-Milieu angesiedelt; Bühnenbildner Wolfgang Menardi hat dafür einen salonartigen, schäbig-schönen Raum mit Kamin und Accessoires eingerichtet, der den pompösen Glanz früherer Zeiten erahnen lässt. Grelle Neonröhren, Farbspritzer und Installationen aus Dreck und Erde verweisen auf die Exaltiertheit dieser Künstlergeneration.

Vor mehr als zwanzig Jahren waren nämlich der Dichter Stephan von Sala (Denis Petkovi´c), der Maler Julian Fichtner (Günter Franzmeier) und der ehemalige Kunststudent Wegrat (Erwin Ebenbauer), jetzt Direktor der Akademie der bildenden Künste, eng miteinander verbunden. So eng, dass Gabriele (Claudia Sabitzer), die mit Wegrat verlobt war, eine Liaison mit Fichtner einging und von ihm schwanger wurde. Fichtners Leidenschaft währte allerdings nur kurz, und Gabriele heiratete Wegrat, welcher Sohn Felix (Simon Mantei) sowie die eigene Tochter Johanna (Nanette Waidmann) liebevoll aufzog.

Nach dem Tod von Gabriele ersehnt sich der alternde und mittlerweile längst nicht mehr erfolgreiche Fichtner ein begabtes aufstrebendes Ich als Gegenüber, eine Zukunft, für die nun Sohn Felix stehen soll. Der wohlgeratene Bursche wird zur Projektionsfläche des narzisstischen Fichtner, der sich ihm als biologischer Vater offenbart und buchstäblich an den Hals wirft. Doch Fichtners Zustand existenzieller Stagnation ist nicht mehr zu ändern und die Tragödie nimmt ihren Lauf.

Sowohl Regisseur Nerlich als auch das Ensemble sind von Schnitzlers überwiegend aus Gesprächsszenen komponiertem Schauspiel sichtlich überfordert. Die Inszenierung präsentiert sich als ein Mix aus Regie-Trends, Nerlich findet zu keiner eigenen Bildsprache. Hier bleibt alles an der Oberfläche, bis hin zu Schnitzlers Thematisierung des damaligen Exotik-Interesses, welches sich in der geplanten Asienreise des Dichters Sala manifestiert. Doch anstatt innerer Forschungsreisen sucht der todgeweihte Sala nur äußere Unternehmungen und spielt mit der Liebe von Johanna, die am Ende in den Freitod geht. 25 Jahre später sollte sich Schnitzlers Tochter Lili ebenfalls das Leben nehmen.

Bizarre Stilmischungen

Das Darsteller-Team rudert haltlos durch die Szenen und versucht, mittels übertriebenem Grimassierens den Figuren Ausdruck zu verleihen. Diesem Zugang geben auch die Kostüme von Amit Epstein Ausdruck: Sonderbar bizarre Farb-, Stil- und Textilmischungen wirken wie ein Missverständnis ausgestellter Geschmacklosigkeit. Dabei sind es gerade die feinen Zwischentöne, die Schnitzlers Dialoge so außergewöhnlich machen und in die Psyche der Figuren blicken lassen, müssten sich Einsamkeit und entfremdete Ich- und Wirklichkeitsbezüge im Zusammenspiel entwickeln.

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