Nie mehr jemandes Knecht

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Franz Innerhofer ist tot. Nach Tagen in seiner Grazer Wohnung aufgefunden. Erhängt.

Seinen Namen kenn ich schon so lang ich denken kann, denn der Nachbarbauer neben meinem Heimathaus heißt Franz Innerhofer und auch sein Sohn in meinem Alter ist wieder ein Franz Innerhofer. Aber ich kenn auch den Franz Innerhofer vom Namen her schon so lang. Ist man nämlich damals beim Vorhofbauer vorbeigekommen, hat es immer geheißen: "Von da ist er her, der Franz Innerhofer." Und die Art und der Ton wie das gesagt wurde, war so ernst und streng und finster wie Innerhofers Foto auf dem Schutzumschlag von "Schöne Tage".

Im krassen Gegensatz dazu lernte ich Innerhofers Vater als fröhlich-urigen Altbauer auf seiner Alm kennen. Hinterm Tisch in der Ecke saß er, und die Freude war ihm anzusehen, wenn eine Gruppe Schifahrer den Einkehrschwung bei ihm machte, die Jäger an der Bar noch eine Runde bestellten.

Aus der Alm, die in Innerhofers "Schöne Tage" nach "Petroleum, Kellerfeuchtigkeit und hunderterlei Fäulnissen" stank, wo die "Leibeigenen" noch schlimmer zur Arbeit getrieben wurden als im Tal, war eine Jausenstation und Skieinkehr geworden. Und Innerhofers Vater, der grausame Patriarch, Sklaventreiber und Menschen-Schinder im Roman, entpuppte sich Jahrzehnte später als ein schrulliger Alter im Ausgedinge.

Nur Franz Innerhofer ist der gleiche geblieben. "Mit störrischem Stolz hat er die smarte Schöngeisterei des Literaturbetriebs gemieden", heißt es jetzt in den Nachrufen. Was hätte er denn auch tun sollen? So einer wie Innerhofer hatte doch eine feine Nase dafür, wenn es irgendwo wieder nach Knechtschaft roch. Und eines hat für Innerhofer, seit er weggegangen war von "48" und aus "Haudorf", wohl mehr als alles andere gegolten: Nie wieder jemandes Knecht sein. "Vom Misthaufen gesprungen", hat man zu denen aus der Innerhofer-Generation gesagt, die ihre Chance nutzten. So einer springt nicht zurück. Der Rauriser Literaturpreis am Anfang seiner Karriere war ihm vielleicht bereits eine erste Warnung. Rauris, keine Autostunde entfernt von Innerhofers "Haudorf", das Tal noch enger, der Boden noch steiniger. Damit wollte er sich nicht, damit konnte er sich nicht, in keiner Form mehr arrangieren.

"Die Torsäule machte ihm Angst. Torsäulen wurden immer zu eng gesetzt. Er hätte die Torsäulen viel weiter auseinander gesetzt. Auch hätte er gern Aufsätze über das Durchfahren von Toreinfahrten geschrieben." Innerhofer hat beides getan. Mit "Schöne Tage" hat er sogar Torsäulen umgerissen. Nicht die aus Stein oder Lerchenholz, die haben den Traktoren weichen müssen. Innerhofer hat die Begrenzungen in den Köpfen umgerissen, die aus der Vergangenheit nur Idylle und heile Welt in die gegenwärtige Auch-nicht-Idylle und Gar-nicht-heile-Welt lassen wollten.

Ob er nun ein Stern am Literatenhimmel war oder bloß eine Sternschnuppe, wie er jetzt gern kleingeredet wird, spielt dabei keine Rolle. Wichtig ist: Innerhofer hat hell geleuchtet, mitunter solche Orte grell ausgeleuchtet, die man oft lieber dunkel beließe: "Viele standen es durch, bis sie ihre Situation erkannten, dann brachten sie sich um. Es hieß dann einfach: der oder die HAT SCHLUSS GEMACHT. Das war der ganze Kommentar auf ein Leben. Die Leute fragten gar nicht WARUM? Es klang wie eine Billigung, als ob man von denen, die von der letzten Möglichkeit Gebrauch machten, nichts anderes erwartet hätte. Selbstmord war und ist für diese Leute Übereinstimmung."

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