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„Unser Weg ist langsam"

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Vor zwei Jahrzehnten hat sich Franz Innerhofer mit einer Explosion in die österreichische Literaturgeschichte eingeschrieben. Als sein erster Roman „Schöne Tage" erschien, versuchte der Vater gerichtliche Schritte gegen ihn, der Landeshauptmann von Salzburg erkundigte sich beim Verleger, ob denn das nötig gewesen sei, und katholische Buchhandlungen versuchten einen Boykott. Das Buch erreichte in wenigen Monaten eine Auflage von fast 10.000 Exemplaren.

Innerhofers Debüt paßte in die literarische Konjunktur der siebziger Jahre: soziale Realität, Arbeitswelt und Autobiographie standen damals hoch im Kurs. Heute ist das Buch nicht nur ein Zeitdokument, das manche Idylli-sierung der Vergangenheit - sei es aus grüner oder aus konservativer Per-

spektive - Lügen straft, die Geschichte vom „Leibeigenen" Holl hat nichts von ihrer Sprachkraft verloren.

Das neue Buch ist daher mit großen Erwartungen konfrontiert, und Innerhofer hat sie vom ersten Satz des Ro-manes an fast leitmotivisch thematisiert: .„Schauen Sie, daß Sie nicht zu sehr ins Autobiographische kommen', so der Verleger." Und etwas später heißt es: „Fabriken nicht mehr, Arbeiter nicht mehr", so die Kritiker zum

Verleger und so der Verleger zum Autor. Anhand des Schriftstellers Artner hat Innerhofer seine eigene Geschichte erzählt und damit nach gut zehn Jahren seine Sprache als Erzähler wiedergefunden; denn seit dem „Emporkömmling" von 1982,derein-zigen Prosa nach der Trilogie „Schöne Tage", „Schattseite" und „Schlechte Wörter", ist nur noch das Theaterstück „Orvieto" erschienen, und „Die Scheibtruhe" wurde in Graz gespielt.

Weil Innerhofers Material nahezu ausschließlich die eigene Biographie ist, mußte sie sich weiterentwickeln, um Schreiben wieder möglich zu machen. So droht das Buch stellenweise ein Schlüsselroman zu werden, und das bekommt ihm nicht. Auch die eine oder andere Straffung hätte nicht geschadet. „Um die Wette leben" gestaltet ein traditionsreiches Thema: Italien als Lebens- und Wahrnehmungsschule für einen verkopften

deutschsprachigen Dichter. Der Norden ist das österreichische „Untertanenland", eine Lebensform, wo die Menschen nichts voneinander wissen, wo Vereinzelung herrscht. „Nordeinfalt" steht einer „feineren und vielfältigeren Betrachtung" gegenüber. Der Ort dieser Lebensschule ist Orvieto, das im Roman nur als „urbs vetus" erscheint - bei Innerhofer sicher nicht kokette Bildungsdemonstration, sondern ein Signal, daß die alte Stadt als

Modell dessen steht, was Stadt einmal war, was Stadt vielleicht sein könnte. (Wie allen Innerhofer-Protagonisten ist auch Artner der Zugang zu Landschaften verwehrt.)

Ein Buch ohne „Message"

Die Lebensschule Artners ist konkret: Gehen („ein Gehen im Einklang mit Temperatur, uraltem Gemäuer und Jahreszeiten"), Arbeiten, Sexualität („hüllenloses Ineinanderversinken"); gegen Glaubenssätze und Gewerkschaftsstrategien entdeckt Artner die „Möglichkeiten zwischen und unter und in uns" und die „Vorliebe für das Ziellose und Nichtvomfleckkommen".

Das ist das Faszinierende und Sympathische an diesem Buch: es formuliert keine Lehre oder Botschaft, es beharrt nur auf dem mehrmals wiederholten Satz „La nostra via e lenta" (Unser Weg ist langsam - ein Gramsci-Zitat). Und es endet nicht mit der großen Verbrüderung, der Eingemeindung des „nordista", sondern mit bleibender Fremdheit. Aus Artner wird kein Herold des Südens, und seine Erlebnisse haben nicht nur den „Ausflugswert", den ihnen sein Freund Fritz Fremuth zubilligt; es geht ihm - wieder in der „Festspielstadt" (der Name Salzburg wird konsequent vermieden) - um „Rückgewinnung leichtfertig verlebter Interessen".

„Während man woanders lange über das Belanglose redet, schweigt man bei uns über das Ärgste", steht schon in „Schöne Tage". Innerhofer hat die erfahrene Sprachlosigkeit der Bauern- und Arbeitswelt und seine Enttäuschung über die „Redewelt" weitergeschrieben und mit einem positiven Modell kontrastiert, oft mit Ironie, die gelegentlich leider von purem Enthusiasmus unterlaufen wird.

Innerhofer hat uns zweifellos ein symphatisches Buch beschert; ein großer, maßgeblicher Wurf freilich ist es nicht geworden. Aber ein erfreuliches Lebenszeichen eines Schriftstellers, der aus der österreichischen Literatur nicht wegzudenken ist. Sein erstes Buch hat die Neugierde geweckt auf alles, was er jemals schreiben wird.

UM DIE WETTE LEBEN. Roman. Von Franz Innerhofer. Residenz Verlag, Salzburg/Wien 1993. 211 Seiten, öS 298,-.

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