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Roman und Report

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Franz Innerhofer ist einer jener Autoren, die das schlechte Gewissen ihrer Leser schüren. Sein erster Roman, „Schöne Tage“, verdarb empfindsameren Gemütern schlagartig die Freude am Urlaub auf dem Bauernhof, denn diese unbarmherzige Abrechnung eines unehelichen Bauernsohnes mit seinem Erzeuger und Schinder ließ eigentlich nur die Frage offen, ob und in welchem Maß der von Innerhofer geschilderte Fall,

Das schlechte Gewissen resultiert aus der aufblitzenden Erkenntnis, daß erst ein schreiberisches Naturtalent (was sich durchaus mit einem Dasein als schreibender Schwerarbeiter deckt) wie Innerhofer diese Zustände bewußt gemacht hat, daß vor Innerhofer in diesem Land zumindest öffentlich niemand nach der Behandlung von Bauernkindern zweiter Klasse gefragt hat. Eine Erkenntnis, deren Verdrängung freilich gerade den mehr für das Wie denn für das Was zuständigen Literaturkritikern nicht sehr schwerfällt. Und mehr Innerhofers Wie als Innerhof ers Was galt das überschwengliche Lob, mit dem sein erster Roman überschüttet wurde.

Mit seinem zweiten Roman „Schattseite“ hatte er bei der Kritik weniger Glück — was er sich nach den sich überschlagenden Lobpreisungen seines Erstlings geradezu ausrechnen konnte, und zwar unabhängig von Qualität und Inhalt des nächsten Buches. Wobei der „Schattseite“ vielleicht tatsächlich gegenüber den „Stillen Tagen“ ein paar stilistische Höhepunkte fehlen, aber Innerhofer ist nun einmal kein Artist, sondern einer, der etwas zu sagen hat.

„Schattseite“ — ich fand diesen Roman mindestens so interessant wie die „Schönen Tage“ und alles in allem nicht weniger gut geschrieben. Mein gesteigertes Interesse am Inhalt der „Schattseite“ gegenüber den „Stillen Tagen“ resultiert aus dem Thema. Denn mit den letzten Resten bäuerlichen Kultur sterben ja wohl auch ihre Auswüchse, das Jauern-KZ“, in dem das Kind Franz Innerhofer malträtiert wurde, dürfte abgestorben oder im Absterben begriffen sein.

Was von der Welt der „Schattseite“ sicher nicht gilt, Franz Innerhofer schrieb hier einen Roman, der als Report ebenso ernst zu nehmen ist und den Anforderungen beider Genres in gleichem Maß gerecht wird. Mit Präzision und Akribie beschreibt er diesmal keinen Extrem-, sondern einen Normalfall, wiederum seinen eigenen, nun aber das mühsame Ringen eines jungen Arbeiters um Achtung, um seine intellektuelle Entwicklung, um es ganz hart zu sagen: Um seine Menschenrechte. Wieder beschreibt Innerhofer eine Welt, beschreibt er Zustände, nach denen man sonst nicht fragt. Diesmal aber nicht die aus der Sicht eines Großstädters vergleichsweise exotischen Zustände auf einem Bauernhof, sondern das Leben von Gewerbeschülern, die einem Abgrund namens Hilfsarbeiterdasein zu entrinnen suchen, und deren Karriere als Facharbeiter nicht nur von ihrem Fleiß und Können, sondern auch von ihrer Bereitschaft, sich erniedrigen zu lassen, abhängt. Das protokollierte Gespräch zwischen Direktor, Fachlehrer und aufbegehrendem „Bauernschmied“ paßt sicher nicht in „einen“, aber sehr wohl in diesen Roman, denn es gehörte eigentlich in einen Ermittlungsakt über die Zustände an österreichischen Gewerbeschulen.

Der im Vergleich zu den „Schönen Tagen“ herabgeminderte Erfolg der „Schattseite“ dürfte demnach nicht nur aus dem Wie, sondern schon auch aus dem Was resultieren, denn dieser zweite Roman eines österreichischen Autors, der zweifellos, und soweit ich es bislang überblicken kann, das Zeug zu einem großen Romancier des sozialen Engagements hat, ist unbequemer als der erste. Ist um so viel unbequemer, wie uns sein Thema näher ist.

Die Schattseite war demgegenüber ein historischer Roman. Das „Bauern-KZ“ gibt es nicht mehr, oder zumindest können wir uns einreden, daß es das nicht mehr gibt, und gibt's es doch, ist nicht der Großstädter (und schon gar nicht der Kritiker) für die Abschaffung verantwortlich.

Die „Schattseite“ hingegen, Innerhofers zweiter Roman, spielt auf einem — mit geringen Modifizierungen — allgegenwärtigen Schauplatz, spielt im Jetzt und Hier. Dieser Report, der nebstbei ein hervorragend geschriebener, ein präzise formulierter und dabei spannender Roman ist, kann empfindsamen Gemütern nicht nur die Freude am Urlaub auf dem Bauernhof, sondern auch die Zufriedenheit mit der Gesellschaft, in der wir leben und für die wir geradestehen, schlagartig verderben. Schilderung fernen Unrechts wirkt mitleiderregend. Schilderung nahen Un-, rechts hingegen provoziert.

SCHATTSEITE. Roman von Franz Innerhofer. Residenz-Verlag, Salzburg. 258 Seiten, Leinen, 198 Schilling.

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