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Unbehagen an der Redewelt

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„Die großen Wörter” ist der dritte und voraussichtlich letzte Teil der Lebens- und Entwicklungsgeschichte des jungen Holl, Innerhofers Romangestalt, eines illegitimen Bauernsohnes, der aus der engen, stumpfen Atmosphäre seines Heimatdorfes ausbricht und ein anderes, freieres Leben in der Stadt beginnen will. Schon die beiden ersten Romane, „Schöne Tage” und „Schattenseite”, haben bei Kritik und Publikum äußerst positive Aufnahme gefunden.

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„Die großen Wörter” ist der dritte und voraussichtlich letzte Teil der Lebens- und Entwicklungsgeschichte des jungen Holl, Innerhofers Romangestalt, eines illegitimen Bauernsohnes, der aus der engen, stumpfen Atmosphäre seines Heimatdorfes ausbricht und ein anderes, freieres Leben in der Stadt beginnen will. Schon die beiden ersten Romane, „Schöne Tage” und „Schattenseite”, haben bei Kritik und Publikum äußerst positive Aufnahme gefunden.

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Innerhofer ist kein Blender, kein Stilist und Sprachjongleur. Er kämpft mit jedem Satz, jedem Ausdruck. Sprache ist für ihn kein Spielfeld für formale Experimente, kein vertrautes Objekt, sondern etwas Fremdes, Unübersehbares und trotzdem das einzige legitime Instrument, die Realität zu bewältigen und darzustellen.

Die Sprache steht auch im Mittelpunkt des Romans „Die großen Wörter”. Nicht die grammatikalische Sprache, nicht die Probleme der Syntax und des Stils, sondern die Sprache als Machtinstrument interessieren den Autor.

Der junge Holl arbeitet nunmehr als Schlosser in einer großen Fabrik, nachdem er die Lehre in seinem Heimatdorf beendet hat und endlich aus dem beengenden heimatlichen Milieu ausbrechen konnte. Holl möchte aufsteigen und besucht eine Arbeitermittelschule. Damit beginnt sein Eintritt in die „Redewelt”, die Holl immer schon fasziniert hat. Er hat ein demütiges, fast autoritäres Verhältnis zur Sprache. Sie bedeutet für ihn Wahrheit, ist die bestimmende Macht. Diese Macht möchte er sich aneignen. Doch je mehr er sich in die „Redewelt” begibt, um so skeptischer wird er. Er registriert die Ohnmacht der Sprachlosen, die sich nicht artikulieren und folglich auch nicht wehren können, gleichzeitig wird er sich der Falschheit der Sprache bewußt. „Das Verlok- kende an der Redewelt für ihn war, daß er glaubte, die Redewelt beabsichtige nichts, das Gefährliche in der Redewelt war, daß sie nichts begründete.”

Holl beginnt sich nun auch gegen diese Macht aufzulehnen, nach Funktionen und Absichten zu fragen, nach dem er sich das Instrumentarium der Redewelt recht und schlecht angeeignet hat. Er kritisiert seine Lehrer, die für ihn nur Befehlsvollstrecker ohne eigenes Bewußtsein sind, Gefangene und Untertanen der Redewelt. Schließlich verläßt er auch seinen Arbeitsplatz.

Nach bestandener Matura nimmt Holl das Studium in Angriff, doch er fühlt sich fremd unter den Studenten, hat nichts mit ihnen gemein, mißtraut ihren Ideen und Vorstellungen. Holl ist eben ein „Milieuwechsler”, wie ihn Innerhofer nennt, einer, der nicht weiß, wo er hingehört, der sich auf dem „falschen Platz” befindet. Er muß sich anpassen, in jeder Situation behaupten. Heimat und Elternhaus ist er entfremdet, auch in der Redewelt fühlt er sich nicht wohl, er ist ein Ausgestoßener, der sich auflehnt und abgelehnt wird ein „Aufsteiger”, der gar nicht aufsteigen will. Ein Fremdkörper. Holl will schließlich Schriftsteller werden, will die „Redewelt” durchschauen lernen, will sich inmitten der Widerstände und Falschheiten zurechtfinden, seine eigentlichen Bedürfnisse entdecken und verwirklichen. Er will die „großen Wörter” zurechtstutzen auf das, was sie sind: Instrumente der Verständigung.

Innerhofer ist ein ehrlicher Schriftsteller. Er kennt das Milieu, über das er schreibt, hat die Schwierigkeiten und Frustrationen am eigenen Leibe erlebt. Innerhofer stellt keine Thesen und intellektuellen Utopien auf, beschreibt, beobachtet, wül die Realität einfangen. Er typisiert nicht, sondern verdeutlicht den Lebensweg eines Individuums, eines lebenden, denkenden Menschen, der seine Persönlichkeit erst finden und festigen will. Deshalb ist der Roman auch glaubwürdig, deshalb ist er mehr „als die Geschichte eines einzelnen”. Die „Redewelt” erscheint als feindliches, fremdes, unantastbares Objekt, dem man sich erst mühsam nähern muß.

Der Kampf mit der Sprache und um die Sprache drückt sich auch im Stil Innerhofers aus. Der Autor verfällt nie einen voyeurhaften Realismus, dem letzten Endes das Subjekt gleichgültig ist. Die Schwierigkeiten Innerhofers im Umgang mit Worten und Ausdrük- ken werden sichtbar, der Autor versucht gar nicht, zu glätten und zu harmonisieren. Trotzdem liest sich der Roman flüssig, wird er hohen stilistischen Ansprüchen gerecht Innerhofer flüchtet nicht in Gemeinplätze, er versucht in jeder Situation, konkret zu bleiben, Floskeln aufzulösen, Klischees zu entlarven. Damit vermittelt er das „Mißtrauen an der Sprache, an den großen Wörtern”, die nichts aus- sagen. Ein beachtliches Buch, an dem man nicht unbeteiligt vorbeüesen kann.

DIE GROSSEN WÖRTER, von Franz Innerhofer, Residenz-Verlag, Salzburg 1977, 176 Seiten, öS 168,-.

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