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Priester im Protest

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Wer über Bücher reden will, muß sie zuerst aufmerksam lesen und versuchen, den Autor zu verstehen. Holls neues Buch, „Tod und Teufel“, Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart, kann man nur würdigen, wenn man zuerst untersucht, wie der Autor das Thema des Buchtitels versteht. Holl ist Priester und Theologe. Deshalb geht die Vermutung zuerst dahin, daß er sein Werk als theologisches verstanden wissen will. Diese Vermutung entpuppt sich beim Lesen als nur teilweise richtig. Letztlich macht Holl in diesem Buch, allerdings nur indirekt, auch eine theologische Aussage. Er bekennt sich zum Weiterleben nach dem Tode. Holl ist aber auch Soziologe und Religionswissenschaftler. In diesem neuen Werk bietet er ein reiches religionswissenschaftliches Material zum Thema „Tod“. Das zweite Thema, „Teufel“, das den Buchtitel bildet, wird nicht behandelt.

Als Soziologe zeigt Holl, wie sich unter den großen Wandlungen der Gesellschaft, von ihrem primitiven bis zum hochzivilisierten Zustand der industriellen Gesellschaft, das Verhältnis des Menschen zum Tod verändert hat. Dieser Abschnitt (Seiten 25 bis 49) ist interessant und scheint uns ausgezeichnet gelungen. Holl ist aber auch ein angenehmer Fabulierer und gerät dabei bisweilen auch vom Hundertsten ins Tausendste, was mitunter vom Thema sehr ablenkt. Er weiß viel Wissenswertes und Interessantes bis ins Alltagsleben hinein in sein Thema ein-zuflechten. Ja er bringt auch sein eigenes Leben und Denken ins Spiel. Dabei scheint er uns oft zuweit zu gehen und auch Uberflüssiges und gar nicht zum Thema Gehöriges ein-zuflechten; ja er fällt bisweilen sogar in Geschmacklosigkeiten, dies schon im Einleitungskapitel (Seiten 11 bis 23). Man muß sich fragen:

Was will Holl damit? Zum Thema wird hier noch gar nichts gesagt. Will sich Holl nur mit seinen inneren Problemen vorstellen?

Das literarische Genus dieses Buches — und es war wohl ähnlich bei seinem ersten Buch, „Jesus in schlechter Gesellschaft“ — ist also nicht leicht festzustellen. Ein theologisches Werk im eigentlichen Sinn ist es nicht. Auch nicht ein religions-wissensohaftliches, denn die Ergeb-nise dieser Wissenschaft werden vom Autor nur in einzelnen Zitaten referiert, ohne kritisch untersucht zu werden. Der Autor übernimmt also Meinungen, ohne zu ihnen Stel-

gen will. Darin scheint uns eine Schwäche des Buches zu liegen. Der Leser will doch schließlich und endlich wissen, was der Autor selbst aussagen will.

Über das eigentliche Ziel seiner publizistischen Tätigkeit befragt, antwortet Holl, daß er eine Auseinandersetzung des christlichen Glaubens mit der neueren Philosophie, besonders mit Hegel und Marx, bieten will, die überhaupt noch nicht geschehen sei. In dem schweizerischen Wochenblatt „Die Weltwoche“ vom 12. 9. 1973, Nr. 37, war auf Seite 51 ein Interview Inge Santners mit Holl zu lesen. Auf die Frage „Was hält

Sie noch bei dieser Kirche, mit der Sie seit langem im Konflikt leben? Logischerweise müßten Sie den Dienst quittieren!“ antwortete Adolf Holl: „Ich denke nicht daran. Als Protesthandlung halte ich einen derartigen Schritt für unwirksam und unnütz. Es gäbe einen kurzfristigen Krach. Nachher bliebe alles beim alten. Was heißt denn ,im Konflikt leben'? Konflikte entstehen dann, wenn jemand etwas ausspricht, das sich die anderen höchstens denken. Wenn jemand Tabus zerstört. Wenn er sich herausnimmt, in jeder neuen Lage nachzudenken. Und dies nehme ich mir halt heraus.“

Holl will also Priester im Protest gegen seine Kirche sein, die sich in seinen Augen der wahren Auseinandersetzung mit der Welt entzieht. Man wird also Holls Willen zur Gläubigkeit und selbst seinen Willen, der Kirche, wenn auch nur durch Protest, dienen zu wollen, kaum ernstlich bezweifeln können, ohne ihm unrecht zu tun. Eine andere Frage ist es aber, ob Holls Wege und Methoden zielführend sind. Seine Thesen können einer wissenschaftlichen Kritik gar nicht standhalten, schon deshalb nicht, weil sie nicht wissenschaftlich formuliert sind. Seine Formulierungen sind viel zu undifferenziert und schon deshalb falsch. Dadurch, daß sie noch dazu bewußt provozierend sind, gewinnen sie nicht an Wahrheitsgehalt. Holl gleitet allzuoft in einen reißerischen Stil ab, der begrifflich alles eher als klar ist.

In der Beurteilung der heutigen Situation der Kirche unterliegt Holl jener Schwarzweißmalerei, die er mit vielen anderen allzu Progressiven teilt. Nach ihnen muß die Vergangenheit in ihrer Gänze schlecht sein, damit sie eine bessere Zukunft aufbauen können. Aber nichts ist schwieriger, als einen geschichtlichen Prozeß, der immer noch im Fluß ist, richtig zu beurteilen. Es fehlt die notwendige Distanz dazu. Dies gilt auch von der gegenwärtigen Krise. Sie wird gerade von jenen verschärft, die mit Pauschalurteilen entweder gegen die Tradition oder auch gegen die laufende Reform sprechen.

Alles in allem: Wenn man Holl auch eine gute Absicht nicht abspricht und wenn man auch positiv würdigt, daß in diesem Buch Gutes und Wissenswertes geboten wird, kann man sich nicht zu einer eindeutig positiven Wertung des Buches durchringen. Es bleibt vielmehr zweifelhaft, ob Holl nicht nur den kirchlich gesinnten Menschen, sondern auch den draußen Stehenden durch seine Art des Schreibens einen Dienst erweist. Weil der Protest modern ist, sind noch lange nicht die Inhalte des Protestes wahr.

TOD UND TEUFEL. Von Adolf Holl. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1973. 256 Seiten. Preis S 189.60.

hing zu nehmen. Es bleibt schließlich überhaupt offen, ob Holl den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben oder nur eine auf breitere Massen angelegte Darstellung brin-

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