Petersdom - © Pixabay / Websi

Adolf Holl: "Falls ich Papst werden sollte"

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Der Gemaßregelte träumt davon, was er täte - und ist weniger weit, als man meinen könnte, von möglichen Realitäten entfernt. Ein Krimi-Vergnügen mit virtuell vorbereitetem Konzil, religiösen Umarmungen und Papst ohne Mitra und Soutane.

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Der Gemaßregelte träumt davon, was er täte - und ist weniger weit, als man meinen könnte, von möglichen Realitäten entfernt. Ein Krimi-Vergnügen mit virtuell vorbereitetem Konzil, religiösen Umarmungen und Papst ohne Mitra und Soutane.

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Der nächste Papst wird sich Evaristus II. nennen, der übernächste Sixtus VI., nicht zuletzt auch deshalb, weil sich dies auf Italienisch so gut aussprechen läßt: Sistosesto. Klarerweise hat Kardinal Holl nicht damit gerechnet, das Konklave als Papst zu verlassen, allenfalls ganz wenig damit geliebäugelt. Aber es hat ihn ereilt.

Oder die Erleuchtung durch den Heiligen Geist hat die anderen Kardinäle ereilt. Als Papst bittet Sistosesto sodann jede Woche einmal in Castelgandolfo seinen Vorgänger zu einem gemütlichen Jausenplausch, an dem auch die Dame teilnimmt, mit der Adolf Holl schon als gemaßregelter Priester und später Kardinal zusammenlebte und die man in Rom Dottoressa nennt.

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Evaristus II. ist übrigens nicht zurückgetreten, sondern hat beim Segen Urbi et Orbi der Christenheit von der Loggia des Petersdomes aus zu Ostern ein gesegnetes Weihnachtsfest gewünscht, worauf sein Alzheimersches Leiden beim besten Willen nicht mehr ignoriert werden konnte.

Wer daran glaubt, daß der Heilige Geist die Kardinäle bei der Papstwahl in der Sixtinischen Kapelle erleuchtet, kann wohl die Möglichkeit, daß dem derzeitigen Papst tatsächlich ein lateinamerikanischer Befreiungstheologe nachfolgt, keinesfalls ganz ausschließen. Warum also soll Adolf Holl kein Buch schreiben, in dem er genußvoll ausspinnt, wie es dazu kommt und was in einem solchen Fall weiter geschähe? Wenn aber ein lateinamerikanischer Befreiungstheologe nächster Papst würde - warum sollte er dann nur Küng, Boff und Drewermann und nicht auch Holl, dessen Buch "Jesus in schlechter Gesellschaft" er als junger Mann gelesen hat, zum Kardinal ernennen?

Papst werden als literarisches Szenario

Genau diese Fiktion hat Adolf Holl nun literarisch ausgeführt: "Falls ich Papst werden sollte". Keinen Roman, sondern: "Ein Szenario". Wieviel geheimer oder weniger geheimer Wunsch in diesem Szenario mitschwingt, ist schon an der Liebe erkennbar, mit der Holl die Übergabe des Ernennungsdekretes in der Wiener Nuntiatur ausmalt.

Der Nuntius teilt ihm mit, es sei der ausdrückliche Wunsch des Heiligen Vaters, einer Reihe von gemaßregelten Theologen den Kardinalshut zu verleihen: "Waren Sie in Brasilien? Ja, einmal. Dann werden Sie sicherlich verstehen, warum Sie in Lateinamerika einen besseren Ruf haben als in Europa. Sprechen Sie Italienisch? Nur im Ristorante." Die Szene liest sich fast wie der Wachtraum von der Behebung des heiß ersehnten 6-aus-45-Jackpots in der Lotteriegesellschaft.

Selbstverständlich ist der Zölibat längst abgeschafft. Und selbstverständlich ruft die neue Offenheit der Kirche Unmengen von Querulanten, Weltverbesserern und Narren auf den Plan. In so einem Chor geht manches unter.

Der Rezensent las das Büchlein mit doppelter Neugierde. Einerseits in hochgespannter Erwartung eines beträchtlichen Unterhaltungswertes, andererseits aber schon auch mit einer Frage, die sich etwa auf folgenden Nenner bringen läßt: Würde der Kirche ein kleinerer oder größerer Spritzer Adolf Holl schaden? Bekäme er ihr womöglich vielleicht sogar ganz gut? Was täte Holl denn wirklich als Papst? Beide Neugierden kamen auf ihre Rechnung.

Krimi-Vergnügen

Die katholische Kirche würde Adolf Holl, pardon, Sistosesto, nicht nur zweifellos überleben, sondern täte dies mit einiger Wahrscheinlichkeit sogar in einem wohltuend verjüngten Zustand. Denn für mögliche künftige Probleme aufgrund der Tatsache, daß im frühen 21. Jahrhundert zeitweise zwei Päpste gleichzeitig regierten, können wir ihn ja nicht verantwortlich machen.

Was kann Holl dafür, daß Evaristus II. keineswegs an Alzheimer litt, sondern an einer Vergiftung (wer ihn vergiftete, wird hier nicht verraten - das Buch bietet nicht zuletzt auch eine Portion Krimi-Spaß), nach Lateinamerika entführt und dort dank den Künsten von erfahrenen Ethno-Pharmakologen und Candomble-Priesterinnen geheilt wird? Sistosesto zögert nicht lang, seine Befugnisse mit dem Genesenen zu teilen. Nachdem sie gemeinsam den Segen Urbi et Orbi gespendet haben, wird Evaristus in Sao Paulo residieren. So ist der Erzähler den Konkurrenten auf elegante Weise los.

Ansonsten hält sich Sistosestos Umrühren eigentlich in Grenzen. Er umgibt sich mit Künstlern und Wissenschaftlern. Obwohl das nicht so deutlich ausgesprochen wird, dürfte sich Adolf Holl als Gewinner des Sixtinischen 6-aus-45-Jackpots in die Rolle eines den Künsten und Wissenschaften zugetanen Nachfolgers der Renaissancepäpste vor dem Galilei-Prozeß und der Entfremdung zwischen Kirche und Naturwissenschaft träumen, der sich um keine geistigen Tabus schert.

Religiöse Umarmungen

Nach einigen Bädern in der Menge erkennt dieser, daß er damit auch nicht viel weiterbringt. Seine wichtigsten Aktionen sind einerseits auf Versöhnung der christlichen Kirchen gerichtet, andererseits kommt er den nichtchristlichen Religionen weit entgegen. Er möchte gern nach Mekka eingeladen werden und besucht Ägypten. Das ist, mehr oder weniger, längst Programm der Kirche.

Neu wäre ein Papst, der sich bei solchen Annäherungsversuchen nicht viel um innerkirchliche Widerstände kümmert, und überhaupt nicht ums Prestige. Wie der Islam auf solche Umarmungen reagieren würde, ist eine andere Frage. Aber träumen wird man noch dürfen.

Auch den Frauen kommt Sistosesto weit entgegen. Auf daß wir es nicht vergessen: Selbstverständlich beruft Sistosesto ein Konzil ein. Selbstverständlich spielt sich die Vorbereitung zum Großteil via Internet ab. Selbstverständlich ist der Zölibat längst abgeschafft. Und selbstverständlich ruft die neue Offenheit der Kirche Unmengen von Querulanten, Weltverbesserern und Narren auf den Plan. In so einem Chor geht manches unter. Stellenweise könnte man meinen, daß das seinem Teufelchen, mit dem sich Sistosesto gern unterhält, auf etwas machiavellistische Weise ins Konzept paßt.

Papst ohne Mitra und Soutane

Die Mitra kann Sistosesto nicht tragen, da sie eine Bischofsmütze ist und Holl zwar Kardinal, aber nie Bischof geworden sei. (Aber ist der Papst nicht automatisch Bischof von Rom?) Also greift er auf den Camauro zurück, die markante Haube früherer Päpste. Statt der weißen Soutane trägt er etwas, das aus Marrakesch oder Damaskus stammen könnte.

So weit, wie man meinen könnte, ist dieser Phantasie-Sixtus von möglichen künftigen Realitäten gar nicht entfernt. Um ihn als Übernächsten durchzudrücken, müßte sich der Heilige Geist aber hart ins Zeug legen. Eine Dosis dieses Geistes könnte die Kirche bald brauchen.

Der Autor war lange Zeit Theaterkritiker, Ressortleiter und Autor politischer Kommentare der FURCHE.

Buch

Falls ich Papst werden sollte

Ein Szenario
Von Adolf Holl
Paul List Verlag,
München 1998, 176 Seiten, geb., öS 182.

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