Unermüdlicher Makler in Religionssachen
Adolf Holl, längst etablierter "Kirchenrebell", hat die Hälfte seines 88-jährigen Lebens die Kirche wie die Kirchenkritik mitgeprägt. Der frühere FURCHE-und heutige "Spectrum"-Redakteur Harald Klauhs zeichnet das in einer exzellent recherchierten Holl-Biografie nach.
Adolf Holl, längst etablierter "Kirchenrebell", hat die Hälfte seines 88-jährigen Lebens die Kirche wie die Kirchenkritik mitgeprägt. Der frühere FURCHE-und heutige "Spectrum"-Redakteur Harald Klauhs zeichnet das in einer exzellent recherchierten Holl-Biografie nach.
Man kennt Adolf Holl als einstigen Kirchenrebell, der seiner Kirche Anfang der 1970er Jahre publizistisch alle möglichen hehren Christologien auszutreiben suchte – und dafür (aus Kirchensicht: konsequenterweise) auch sanktioniert wurde. Man kannte Adolf Holl, der im Mai schon seinen 88er begehen konnte, aber auch als begnadeten Wortmächtigen, der vieles, was nicht nur in der katholischen Kirche verschütt gegangen war, in eine von vielen verstandene Sprache übersetzen konnte – und das in mittlerweile 32 Büchern, das letzte ("Braunau am Ganges") noch mit 85, also 2015, verfasst.
Wer einmal "Mystik für Anfänger" in die Hand bekommen hat, das seit seiner ersten Auflage auch schon 41 Jahre auf dem Buckel hat, kann sich ebenso davon überzeugen wie im "Letzten Christen"(1979), Holls grandioser Biografie des Franz von Assisi, die, so vermutet der Rezensent, auch dessen päpstlichen Namensvetter als Lektüre zugänglich sein dürfte.
Polyhistor und großer Vereinfacher
Und man erinnert Adolf Holl als einen schnoddrig intellektuellen Moderator, der dem legendären ORF-Talkformat Club Zwei bis in die 1980er Jahre seine eigene Würze verlieh. Und man kennt den Kirchenkritiker Holl, dem in seiner Kirche viel zu viel Althergebrachtes zuwider scheint, und der gleichzeitig an einem geradezu archaischen Priesterbild (© Paul Zulehner) festhält, aufgrund dessen er bis heute am liebsten lateinisch-vorkonziliare Privat-Messopfer zelebrierte, wenn ihn seine Kirche denn das noch ließe.Man erinnert sich auch an Adolf Holl, den großen Vereinfacher, der die Kultur-wie die Religionsgeschichte in dicken Pinselstrichen malen konnte. In einem denkwürdigen Interview mit der FURCHE anno 2003 -Thema: Religion und Sexualität - zeichnete er etwa Entwicklungen über mehrere Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende in einem einzigen Satz nach. In besagtem Interview ließ Holl auch einige seiner typisch unkonventionellen Zeitdiagnosen vom Stapel: "Wenn ich die vielen Augenreize betrachte, die mich als Mann in erster Linie dazu verführen wollen, nicht nur ans Schilaufen, ans Essen und Trinken, an den Broterwerb zu denken, sondern auch noch an dieses gewisse Tralala, dann gewinne ich den Eindruck, dass wir in einer durch und durch frigiden Gesellschaft wohnen einer vollkommen frigiden Gesellschaft! Denn warum denn sonst müssten die Männer, gewissermaßen ununterbrochen, auch wenn sie ein neues Auto kaufen oder ein Bonbon lutschen wollen, stets daran erinnert werden, dass sie auch noch, ab und zu wenigstens, einen Liebesakt vollziehen sollen."
Adolf Holl gibt sich nie als Kirchenfeind her. Dass er eine kecke Ader hat, bleibt unbestritten.
Aus nämlichem FURCHE-Interview zitiert auch Harald Klauhs in seiner exzellent recherchierten und aufschlussreichen Biografie "Holl. Bilanz eines rebellischen Lebens". Klauhs, seit 1996 Literaturredakteur bei der Wochenendbeilage Spectrum der Tageszeitung Die Presse und zuvor Kulturredakteur der FURCHE, meistert eine Aufgabe, die großen Mut erforderte. Denn zum einen sind beinahe alle Bücher Adolf Holls ja schon autobiografisch durchsetzt. Und zum anderen muss man sich trauen, dem wortmächtigen Ketzer und Polyhistor mit der eigenen Sprachlichkeit näherzukommen.
Eine Biografie, keine Hagiografie
Beides gelingt diesem Biografen bravourös – nicht zuletzt mit einer Mischung aus Sympathie und doch journalistischer Distanz, die bei einem Unterfangen dieser Provenienz einfach nötig ist. Es ist diesem Buch anzurechnen, dass keine säkulare Hagiografie versucht wird, zumal es ja gerade im kirchenkritischen Fan-Club Adolf Holls (der natürlich wie der Protagonist auch schon in die Jahre gekommen ist) einige gibt, die Religionskritik mit (vermeintlich nötiger) Religionsabkehr verwechseln.
Adolf Holl, das wird auf vielen Seiten dieses Buches klar, gibt sich nie als Kirchenfeind her. Dass er eine kecke Ader hat, bleibt unbestritten – siehe auch das Interviewzitat oben. Und dass er bei seinem Chef, Kardinal Franz König, wider den Stachel löckte, bleibt ebenfalls klar.
Aber Klauhs zeigt redlich auf, dass Adolf Holls Kirchenkonflikt keiner mit Kardinal König war, sondern dass der damalige Wiener Erzbischof in den 1970-ern alles dazu tat, nicht einschreiten zu müssen und über die Sache Holl Gras wachsen zu lassen. Doch wenn die Mühlen Roms (mutmaßlich mitangetrieben von den Denunziationen aus Österreich, die später zur Kurskorrektur in der heimischen Kirche durch Rom führten) zu mahlen begannen, dann wurde der Druck auch auf einen liberalen Kirchenfürsten doch zu groß. Jedoch: Laisiert oder des Priesteramts für verlustig erklärt wurde Holl bis heute nicht.
Ein Stück kirchlicher Zeitgeschichte
Klauhs zeichnet diese Vorgänge ebenso penibel nach wie andere Episoden aus Holls Leben. Wenn man dessen kirchliche und spirituelle Sozialisation in dem Band nachliest, dann wird einem einmal mehr bewusst, wie fundamental sich die katholische Kirche seit Ende der 1950er Jahre verändert hat. Und man versteht nach der Lektüre des Buchs auch, warum der progressiv-katholische Aufmüpfige in liturgischer Hinsicht gar so retro ist. Auch die Beziehungen Holls zu Frauen sind natürlich Thema – und finden sich gleichermaßen klar wie dezent abgehandelt; der Protagonist hat ja auch in seinen Büchern selber um dieses Thema keinen großen Bogen gemacht.
Der Rezensent, der, seitdem er als Jugendlicher das Skandal-Buch "Jesus in schlechter Gesellschaft" verschlungen hat, zum beständigen Leser der Holl-Bücher geworden ist, entdeckte dennoch viel Neues oder bloß halb Gewusstes, über das die von Klauhs zusammengetragenen Details eines Lebens und eines Denkens beredt Auskunft geben.
Ganz am Ende des Buchs konstatiert der Autor von "Holl. Bilanz eines rebellischen Lebens", wie wichtig die "Gegenerzählung" ist, der sich Adolf Holl seit seiner "Rebellion" Anfang der 1970er Jahre befleißigt hat. Auch wenn dabei manche Flapsigkeit oder manche gar große Liebe zum Wortspiel nicht jedermanns Sache ist: Adolf Holls unermüdliches Maklertum in Religionssachen hat Menschen in wie außerhalb der Kirche weitergebracht. Wer's nicht glaubt, möge das bei Harald Klauhs nachlesen.
Holl: Bilanz eines rebellischen Lebens
Von Harald Klauhs
Residenz 2018
368 S., geb., EUR 28,00