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Der staatsgefährliche Stifter

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In der französischen Besatzungszone Deutschlands hat sich der Film eines dichterischen Stoffes von Überzeitlichkeit und klassischer Einfachheit bemächtigt: Adalbert

Stifters Erzählung „Bergkristall“ aus den „Bunten Steinen“. Grund genug zu einer hitzigen Zeitungsattacke aus dem Lager des Prager Linksradikalismus gegen Stifter im allgemeinen und den Stoff im besonderen, um das Ganze als eine bedenkliche sudetendeutsche Angelegenheit zu bezeichnen. Dabei bekommt noch Frankreich sein Teil ab, weil es solche subversive Tendenzen dulde.

Wie? War dieser Stifter vielleicht ein Pangermanist, wühlte er als Feind des tschechischen Volkes, war er Wortführer einer politischen Partei? Nur sträfliche Ignoranz könnte derlei behaupten. Vergebens wird das findigste zensorische Gemüt in der — für die Bildung der heranwachsenden Jugend geschriebenen — Erzählung auch nur ein Wort gegen die politischen Rechte oder Angelegenheiten Böhmens finden. Der Schulrat von Linz, der seine feierliche leidenschaftslose Gesinnung mehr als einmal dokumentierte, hat zwar dem Böhmerwald eine unvergängliche weltliterarische Verherrlichung gewidmet, aber im „Bergkristall“ ist überhaupt von diesem oder einem anderen böhmischen Grenzgebiet nicht die Rede, sondern diese wundersame Schöpfung dichterischer Kraft und menschlicher Einfühlsamkeit in die Gedankenwelt des Kindes, ein dauerndes Gut aller Novellensammlungen und Lehrbücher, nimmt sein Thema aus den österreichischen Alpen. Wo solche Unwissenheit offenbar wird und einem blinden Haß Nahrung gibt, da tut es wahrlich not, daß die Prager Universität eine „germanistische Forschung der Tschechoslowakei“ begründen will. Ob die tschechischen Sprachwissenschafter ihr Ziel von links oder rechts angehen werden, nie werden sie anders als mit Ehrfurcht die Bedeutung Stifters für das gesamtböhmische Literaturwesen würdigen können.

Stifter hatte schon recht, als er, die jetzige Gegenwart vorausahnend, an seinen Verleger Gustav Heckenast schrieb: . Viele meinen, die Freiheit erst zu gründen, wenn sie nur sehr weit von dem früheren System, abgehen, aber da kommen sie nur an das andere Ende der Freiheit.“

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