Reine Interessensfrage

Werbung
Werbung
Werbung

Die Verwirklichung von Huntingtons Kulturkampf-Modell ist allein von Interessen bestimmt.

Kann man heute, ein Jahr nach den Anschlägen in New York und Washington, über Alternativen zum "Kampf der Kulturen" sprechen, ohne den Vorwurf der Blauäugigkeit zu provozieren? Hat sich der 11. September 2001 nicht wie ein furchtbares Rufzeichen hinter die Thesen Samuel P. Huntingtons gesetzt? Es scheint, als wäre das einfache und suggestive Weltmodell Huntingtons trotz all seiner Schwächen und offensichtlicher Ungereimtheiten auf blutige Weise Wirklichkeit geworden. Und doch lohnt es sich, über Alternativen zu Huntington nachzudenken, denn seine zusammenfassenden Forderungen nach einer räumlichen Trennung der Kulturblöcke sowie nach der Schaffung kulturell reiner Territorien bleiben anachronistisch und unerfüllbar.

Kulturen kämpfen nicht und Zivilisationen prallen nicht kriegerisch aufeinander. Der griechische Historiker Thukydides wusste es bereits im 5. Jahrhundert vor unserer Zeit besser. Er schrieb, dass die Menschen ihre Kriege aus Ruhmsucht, Angst oder zur Verwirklichung ihrer Interessen führen.

Die Frage muss somit anders gestellt werden: Gibt es ein Interesse an Alternativen zum Kampf der Kulturen? Wenn Huntingtons Weltmodell auf dem besten Weg ist, Realität zu werden, dann nicht, weil es realitätsnah und unvermeidbar wäre, sondern weil es mittlerweile zu einem grundlegenden Szenario strategischen Denkens geworden ist, sowohl in islamistischen Kreisen als in den USA. Wenn also die Verwirklichung des Huntingtonschen Modells eine Frage der Interessen ist, dann ist es die Verwirklichung des Gegenentwurfes vom "Dialog der Kulturen" ebenso.

Hier ist der Absolutheitsanspruch vieler Religionen ein schwerwiegendes Hindernis, denn wer im Vollbesitz der Wahrheit ist, führt keine Dialoge, er missioniert. Doch der Absolutheitsanspruch stellt auch im Dialog der Weltanschauungen und Wirtschaftsysteme ein Hindernis dar. Sowenig man mit religiösen Fanatikern ein ernsthaftes Gespräch führen kann, so wenig gelingt dies mit verblendeten Globalisierungsgegnern oder eingefleischten Befürwortern derselben.

Sollte aber die oben gestellte Interessensfrage zu einem "Ja" führen, dann beginnt der erste Schritt in Richtung Dialog mit Wissen und Verständnis. Unwissenheit ist der beste Nährboden für Vorurteile, Feindbilder und Extremismus jeder Art. Tief verwurzelte Bedrohungsängste vor einer ,,Türkengefahr" oder vor "asiatischen Horden" können durch simpel gestrickte Theorien wie jene Samuel Huntingtons bestätigt und durch medienwirksame Sager wie die jüngsten vom Islam als "aggressiver Religion" und von der "dritten Türkenbelagerung" immer wieder neu angeheizt werden.

In der Politik muss es national wie international darum gehen, Rahmenbedingungen für ein Zusammenleben zu schaffen, das alle Beteiligten zufriedener macht, das die Eigenheiten des Einen berücksichtigt ohne die des Anderen in Frage zu stellen. Die Wege und Irrwege internationaler Diskussionen um Themen wie Geburtenkontrolle, Ökostandards oder Menschenrechte geben illustre Beispiele dafür ab, wie interkulturelle Kommunikation ergebnislos bleiben kann. Daher wird die "Übersetzung der Kulturen" zu einer unabdingbaren Notwendigkeit, soll es im "Dialog der Kulturen" zu wirklichen Fortschritten kommen.

Der Autor ist Universitätsdozent, Direktor der Urania in Graz.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung