Retrospektive: Working Class Pirate

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Piraten im Kinderzimmer sind im Unterschied zu denen auf See immer die Guten: abenteuerlustig, waghalsig, ein bisschen geheimnisvoll und ein bisschen dreckig, jedenfalls Helden. Wenn ein Junge also sagen kann: "Er roch nach Meer, mein Vater. Denn er war Pirat.“, ist er zu Recht stolz, auch wenn der Piratenvater nur zwei Wochen im Jahr zuhause ist. In dieser kurzen gemeinsamen Zeit erzählt er von seiner Crew und den Fahrten auf fernen Meeren mit einem Schiff namens Hoffnung. Als es eines Tages kentert, dieses Schiff, muss der Junge zum Vater kommen, aber nicht übers Meer, sondern auf Schienen und an einen Ort abseits jeden Wassers. Nie nämlich war der Piratenvater auf dem Meer, hat vielmehr als Bergarbeiter tief unter der Erde nach Schätzen gegraben. Und auch wenn er jetzt das Grubenunglück knapp überlebt, weiß der Junge: "Mein Vater, der Pirat, war wirklich gestorben.“ Einen anderen hat er zwar dafür gefunden, einen mutigen, durchaus, "der aber Lügen erzählte. Und ich wusste nicht, ob ich ihm nur Gutes wünschte.“

Der abwesende Vater als Held

Davide Cali erzählt von einem Kind, das sich den abwesenden Vater als Helden imaginiert. Für den Sohn markiert die Enttäuschung über den echten Vater das Ende der Kindheit, das ja immer mit der Enttäuschung darüber einhergeht, dass die Eltern auch nur Menschen sind. Der aus der italienischen Schweiz stammende Autor legt die Geschichte als Retrospektive des Jungen an, die nicht in diesem zwiespältigen Moment endet: Jahre später erkennt er, dass der Vater immer die Wahrheit gesagt hat, nicht nur weil es immer dessen Traum war, zur See zu fahren, sondern weil die Erzählungen des Vaters ein stimmiges Bild für dessen Leben als "Working Class Pirate“ war. Maurizio Quarello setzt diese kursorische Chronik des Erwachsenwerdens, die zugleich auf das Leben eines Gastarbeiters aus der Sicht des zurückbleibenden Kindes schaut, vor allem mit Buntstiften um. Er zeigt eine Art Südsee-Piratenleben in rötlich-gelbem Schimmer - immer scheint gerade die Sonne unterzugehen. Nach dem Unglück ist sie tatsächlich weg, die Landschaft, das Bergwerk und die kantigen Gesichter der Kumpel sind vom schwarzen Staub der Grube überzogen. Am Ende aber legt der Illustrator Gelb- und Brauntöne einer Patina gleich über die Bilder wie über die Erinnerung. Klar wird nicht nur, dass hier ein Junge seinen Frieden gemacht hat mit seinem Vater und seiner Kindheit. Sondern auch, dass gute Geschichten manchmal mehr von der Wahrheit erzählen als die Wirklichkeit.

Mein Vater, der Pirat

Von Davide Cali

Illustr. von Maurizio Quarello

Jacoby & Stuart 2014. 48 Seiten, gebunden, E 15,40

Buchtipp von Furche, Stube und Institut für Jugendliteratur

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