„Sie ist ihrem Tod gefolgt“

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Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann zeigt seine wunderbare Inszenierung von Jon Fosses elegischem Kammerspiel „Todesvariationen“: Ein undramatisches Beziehungsdrama im leeren Raum.

Der 1959 in der norwegischen Küstenstadt Haugesund geborene und heute in Bergen wohnende Jon Fosse gehört seit mehr als zehn Jahren zu den meistgespielten europäischen Dramatikern. Mehr als dreißig Stücke hat er mittlerweile verfasst, die in vierzig Sprachen übersetzt worden sind.

Dabei sind sie, wie schon die Titel „Winter“, „Traum im Herbst“, „Der Besuch“, „Schatten“, „Schlaf“, „Die Nacht singt ihre Lieder“ oder „Ich bin der Wind“ vermuten lassen, alles andere als im herkömmlichen Sinn spektakulär. Fosse schreibt weder zeitgeistige Tendenztücke noch verfolgt er politische Ziele. Er gilt als einer der großen zeitgenössischen Moralisten des Theaters, dessen einziges Thema das Ewigmenschliche ist: Was heißt es, Mensch zu sein?

Eine Sprache voller Auslassungen

Seine Figuren sind meist verlassene, am Leben Erkrankte, in eine fremde Welt geworfene Melancholiker, Sprachautisten mit kargen Gefühlsregungen, Seinsverlorene. In fast all seinen Stücken erfahren wir wenig davon, was in den Figuren vorgeht. Sie haben oft keine Namen und kaum eine Biografie. Ihm geht es nicht um inneres Leben, sondern vielmehr um die Konflikte zwischen den Menschen, die meist in einer gegenseitigen Fremdheit bestehen, über deren Ursachen Fosse nichts erzählt, die einfach nur ist. Auch sprachlich gehört Fosse zu den großen Reduktionisten. Seine Stücke sind szenische Gedichte mit einer Sprache voller Auslassungen, karg, repetitiv, redundant. Fosse ist ein rigoroser Verschweigekünstler, dem alles Ungesagte wichtiger ist als Worte und der über seine Figuren – wie er behauptet – nicht mehr wisse als das, was sie sagen.

Auch die „Todesvariationen“, die Matthias Hartmann schon in seiner Bochumer Zeit uraufgeführt und jetzt mit nach Wien gebracht hat, sind ein minimalistisches Stück, ein undramatisches Beziehungsdrama im leeren Raum. Die Bühne von Karl-Ernst Herrmann ist eine leicht nach hinten ansteigende, gekippte, weiß-bläuliche Schachtel, in der nur ein niedriger grauer Schemel steht, ein riesiger Sarg, auf dessen Rückwand ein die ganze Bühnenbreite abfahrender Scheinwerfer seine Schatten wirft. In der ersten Reihe des Parketts ragt ein dünner Bootsmast in die Höhe, der hin und her schaukelt wie ein Metronom und das Vergehen der Zeit anzeigt.

Man sieht ein älteres Paar. Die ältere Frau (Barbara Nüsse) teilt dem älteren Mann (Hans-Michael Rehberg) soeben die Nachricht vom Tod ihres gemeinsamen Kindes mit. Die erwachsene Tochter ist ins Wasser gegangen, einfach so. Auch hier ist die Sprache aufs Äußerste komprimiert, knapp, mit vielen Pausen. „Sie ist ihrem Tod gefolgt“, sagt der ältere Mann. Er steht da, regungslos wie ein gefrorener Klotz, seine Rede gefriert ihm zum Gestammel, ein in seiner Innenwelt eingemauertes Ich. Die Frau will alles nicht wahrhaben. In halbfertigen Trümmersätzen beschwört sie, was sie hätte tun sollen, das Glück, die Familie, die schon lange keine mehr war. Denn die Beziehung zwischen Vater und Mutter ist erkaltet, länger schon, wie man nach und nach erfährt.

Grandioser Kunstgriff

Durch einen grandiosen Kunstgriff zeigt Fosse, wie es einmal war. Er lässt ein jüngeres Paar auftreten und schickt damit die Alten in eine Begegnung mit der eigenen Vergangenheit. Wie in einem Schachspiel werden die verschiedenen Stadien der Beziehung der doppelten Eltern rekapituliert: Die junge Frau (Sabine Haupt), dynamisch, ist hochschwanger, der junge Mann (Patrick Heyn), linkisch, hilflos, hat eine schäbige Wohnung gefunden, die Tochter kommt zur Welt, der Mann verlässt die Familie, die Tochter (Cathérine Seifert), zerbrechlich, wird erwachsen, ist melancholisch, liebt den Tod (Johannes Zirner) und nimmt sich schließlich das Leben.

Jon Fosse liefert keine Gründe für all das, er lässt es einfach geschehen. Denn wo andere psychologische Erklärungen bemühen, setzt er auf eine ganz andere Macht: die Zeit, die einfach vergeht und uns mitnimmt.

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