Berge - © Foto: Pixabay

„Ich ist ein anderer“: Jon Fosses monumentales Romanprojekt

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Mit „Ich ist ein anderer“ schreibt Jon Fosse sein monumentales Romanprojekt fort. In unverwechselbarem Tonfall zeichnet der norwegische Autor, der immer wieder als Kandidat für den Literaturnobelpreis genannt wird, ein Bild des kargen Südwestens seiner Heimat.

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Mit „Ich ist ein anderer“ schreibt Jon Fosse sein monumentales Romanprojekt fort. In unverwechselbarem Tonfall zeichnet der norwegische Autor, der immer wieder als Kandidat für den Literaturnobelpreis genannt wird, ein Bild des kargen Südwestens seiner Heimat.

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„Kontemplativ“ oder „meditativ“ – das sind beliebte Vokabeln, wenn man versucht, den so unverwechselbaren Tonfall dieser Prosa zu beschreiben. Der 1959 geborene Fosse, bekannt geworden als Dramatiker und regelmäßig für den Nobelpreis gehandelt, legt nun mit „Ich ist ein anderer“, nach „Der andere Name“ (2019), den zweiten Band eines siebenteiligen Romanzyklus vor, der nichts anderes als die Vokabel „Meisterwerk“ verdient. Sein Erzählen ist nichts für Liebhaber von Actionthrillern, und doch bekommt diese „langsame Prosa“, wie er sein Schreiben selbst nennt, schon nach wenigen Seiten eine beklemmende Eindringlichkeit.

Unverkennbar an Samuel Becketts Prosa geschult, entwickelt Fosse einen suggestiven Stil, den Hinrich Schmidt-Henkel souverän ins Deutsche überführt. Seine Sätze, die in einem für sofortige Vergegenwärtigung sorgenden Präsens gehalten sind, kommen ohne abschließende Punkte aus, ohne dass dies zu einer hermetischen, schwer zugänglichen Erzählweise führen würde. Nein, von der ersten Seite aus fühlt man sich hineingezogen in den kargen, menschenarmen Südwesten Norwegens.

Wer sind die Protagonisten in diesem von Wiederholungen und Reprisen geprägten Werk, dessen erzählte Zeit nur wenige Vorweihnachtstage umfasst? Da ist Asle, ein Maler in den Sechzigern, der Tag für Tag hinter seiner Staffelei steht. Seine Frau ist vor längerem gestorben, seine Einsamkeit durchbricht allein der Fischer Åsleik, der von Kunst nichts versteht und sich über das merkwürdige Tun seines Nachbarn wundert. Alljährlich lädt Åsleik Asle ein, die Feiertage mit ihm und seiner Schwester, einer Meisterin in der Zubereitung von Lammrippchen, zu verbringen. Eine Vorstellung, die den Maler eher erschreckt.

Bedrohlicher Doppelgänger

Als Maler hat sich Asle längst etabliert; der Galerist Beyer in der nahegelegenen Stadt Bjørgvin bringt seine Gemälde gewinnbringend unter die Leute, und doch haftet Asle eine Unruhe an, der er kaum Herr wird. Denn in Bjørgvin lebt ein Namensvetter, ein Maler wie er, ein dem Alkohol völlig verfallener Mann. Je länger der Roman voranschreitet, desto diffuser werden die Unterschiede zwischen den beiden Asle-Figuren. Der Erstere scheint im Letzteren eine Art Doppelgänger zu sehen, die abgründige, bedrohliche Seite seiner eigenen Existenz gewissermaßen. Der auf das berühmte Zitat Arthur Rimbauds „Ich ist ein anderer“ zurückgehende Romantitel deutet diese komplexen Überlagerungen an.

Viele der Erzählstränge und Motive finden sich bereits in „Der andere Name“. Zwischen beiden Texten herrscht ein fließender Übergang. Wie in Asles Kopf alles verschwimmt, so wechseln seine Gedanken oft innerhalb eines Absatzes kaum merklich von der Gegenwart in die Vergangenheit über. Während er in seinem schneeverwehten Auto auf den Galeristen wartet, der eine kommerziell einträgliche Weihnachtsausstellung organisieren will, gehen seine Erinnerungen ein halbes Jahrhundert zurück. In eine Zeit, da er als Halbwüchsiger seinen Eltern erklärt, dass ihn bürgerliche Berufe nicht interessieren und er sich stattdessen an einer Kunsthochschule bewerben will.

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