So wirtschaften, dass keine Abfälle entstehen

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In der Natur gibt es keine störenden Abfälle. Alles wird wiederverwertet. Dies sollte langfristig auch für die wirtschaftliche Produktion gelten. Die "Zero Emissions Research Initiative" verfolgt diesen Ansatz - und hat damit Erfolg

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In der Natur gibt es keine störenden Abfälle. Alles wird wiederverwertet. Dies sollte langfristig auch für die wirtschaftliche Produktion gelten. Die "Zero Emissions Research Initiative" verfolgt diesen Ansatz - und hat damit Erfolg

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Welche Chancen liegen in Roh- und Reststoffen, die bisher noch völlig ungenutzt sind? Am Beispiel der "Erzquell Brauerei Bielstein" in Wiehl bei Köln in Deutschland lässt sich zeigen, was da alles möglich ist. Wie in vielen anderen Brauereien wurde dort der als Abfall anfallende ligninhaltige und eiweißreiche Biertreber in der Viehmast verfüttert. Eine scheinbar günstige Verwertung.

Vor eineinhalb Jahren beschloss man allerdings, neue Wege zu beschreiten. Denn Biertreber eignet sich zwar als Mastfutter, die Tiere können jedoch die Fasern des Biertrebers nur schwer verdauen und sie produzieren dabei das Treibhausgas Methan. Dies galt es zu vermeiden.

Jens Hofmann von der Erzquell Brauerei erinnert sich: "Die Anregung zu dieser Änderung ergab sich aus einem Artikel über Zero Emissions und wurde in einem persönlichen Gespräch mit Gunter Pauli, dem Gründer und Leiter der Zero Emissions Research Initiative (ZERI) in Genf vertieft." Der Schlüssel zum Erfolg sind Pilze.

Während sich die meisten Lebewesen nämlich von Kohlehydraten und Eiweiß ernähren, gewinnen Pilze ihre Energie durch die Spaltung von Lignin und Cellulose. Pilze "verdauen" zum Beispiel Getreidestroh, feste Rückstände aus Palmen- und Kaffeeplantagen oder eben Biertreber. Zurück bleibt ein nährstoffreiches Substrat.

"Inspiriert von dieser Möglichkeit besuchte ich in China einen Pilzkongress und Seminare über Pilzzucht. Unsere Pilotversuche haben trotz mancher Rückschläge gezeigt, dass die Pilzzucht auf Biertreber funktioniert. Eine tolle Sache," befindet Jens Hofmann. "Nach etwa 21 Tagen sieht man die ersten Pilze, nach vier Wochen kann man sie bereits ernten."

Heute werden nur 20 von den 5.000 essbaren Pilzen kommerziell angebaut. Die Speisepilze werden aber in Zukunft sehr wahrscheinlich für die Ernährung der Weltbevölkerung eine große Rolle spielen, ist Gunter Pauli überzeugt. Man hat auch entdeckt, dass Pilze in der Medizin wertvolle Beiträge liefern können. "In Japan basieren drei von zehn zugelassenen Krebsmedikamenten auf Pilzextrakten."

Man kann den Biertreber aber auch dem Brotteig beimischen. In Kooperation mit einer Bäckerei stellt die Erzquell Brauerei Bielstein auch Treberbrot her, das auch bei den Besuchern des ZERI Pavillons auf der Weltausstellung "Expo 2000" in Hannover großen Anklang findet. Mehr als 100.000 Treberbrote wurden bereits verkauft. "Bier und Brot passt eben gut zusammen, das verstehen die Deutschen," betont Gunter Pauli.

Während Bierbrauen nach dem Konzept des Zero Emissions in Europa noch absolut in den Kinderschuhen steckt, haben sich in Japan die großen Brauereien in einem Abkommen mit dem japanischen Umweltministerium verpflichtet, bis zum Jahre 2010 ihre Bierproduktion vollständig nach dem ZERI-Konzept umzurüsten.

Entwicklungshilfe aus Namibia In Tsumeb, mitten in der Wüste von Namibia hat aber bereits im Jänner 1997 die erste ZERI-Brauerei ihren Betrieb aufgenommen. Und in Tsumeb geht die Bioproduktion sogar weit über die zusätzliche Pilzzucht hinaus. Dort hat sich nämlich neben der Brauerei eine Fischzucht angesiedelt. Sie nützt das nährstoffreiche Abwasser, das nicht chemisch behandelt wird, sondern zur Züchtung von Algen dient. Und diese dienen wiederum als Futter in der Fischzucht.

Dabei wurde die traditionelle Zucht mit verschiedenen Fischarten ergänzt, so dass das Ökosystem stabil ist und keine Antibiotika eingesetzt werden müssen.

Was an Bioabfällen anfällt, wird zur Erzeugung von Gas verwendet, das ausreicht, um 80 Prozent des Bedarfs der Bevölkerung von Tsumeb zu decken. Anlässlich der Eröffnung der Brauerei sagt der Präsident Namibias, Sam Nujoma: "Man glaubt, dass man, um die Produktivität zu erhöhen, Arbeitsplätze streichen muss. Wir demonstrieren hier, dass man Mehrwert, mehr Einkommen, höhere Gewinne und mehr Arbeitsplätze schafft" - und dabei auch noch Ressourcen schont.

Bier, Brot, Fische, Biogas stehen somit am Ende der Wertschöpfung. Gleichzeitig werden Emissionen wie Abfälle und Abwasser sinnvoll verwertet. Inzwischen gibt es auch in der Heimat des Reinheitsgebotes, im Freistaat Bayern, reges Interesse am ZERI-Konzept.

Gunter Pauli war und ist ein Unternehmer, der in Belgien nicht nur für seine umweltorientierte Betriebsführung ausgezeichnet wurde, sondern als erster auch biologisch abbaubare Reinigungsmittel auf der Basis von Fettsäuren aus Palmöl hergestellt hat. Bei einem Besuch in Indonesien vor einigen Jahren musste Gunter Pauli aber feststellen, dass 500.000 Hektar Regenwald Palmenplantagen weichen mussten. Allerdings wurden nur fünf Prozent der Biomasse genutzt, 95 Prozent verbrannt.

Für Gunter Pauli war damals die zentrale Frage: Was nützt die unter Umweltaspekten optimierte Betriebsführung am belgischen Standort, wenn Regenwald den Plantagen weichen muss und dann noch 95 Prozent der Ressourcen einfach verbrannt werden und so der Treibhauseffekt gefördert wird? "Wir wirtschaften, ohne das System als Ganzes zu betrachten," kritisiert Gunter Pauli. Ist das effizient? Die Idee der Zero Emissions war geboren.

Pauli zog sich aus seinem Unternehmen zurück, um die Zero Emissions Research Initiative (ZERI) zu gründen. Während sich aber in Europa keine Geldgeber fanden, stellte Japan im Jahre 1994 zehn Millionen Dollar zur Verfügung, mit der Bedingung, dass ZERI seinen Sitz in Japan habe und ein internationales Netzwerk aufgebaut werde.

Heute sind weltweit 3.000 Wissenschaftler im ZERI-Netzwerk aktiv. In 42 Ländern in Afrika, Asien und Südamerika wurden bereits zahlreiche Projekte umgesetzt. Allein an mehr als 100 Universitäten in Südamerika wird ZERI unterrichtet. "Das Interesse der Studenten und ihre Kreativität sind enorm", freut sich Pauli.

In Brasilien wurden neue Wege für holzverarbeitende Betriebe, die aufgrund des Tropenholzboykotts in den Bankrott gegangen waren, gesucht und gefunden. Heute ernten und trocknen diese Betriebe die schnell wachsenden Wasserhyazinthen in den Flüssen und beimpfen sie mit Pilzkulturen. So aufbereitet können die Nährstoffe, die durch Abholzung und Bodenerosion verloren gehen, wieder dem Boden zurückgeführt werden. Das dichte Geflecht der Pilzhyphen verhindert, dass der Regen die Nährstoffe rasch wieder auswäscht.

ZERI heißt, sich am Vorbild der Natur als integriertes Biosystem zu orientieren und von ihm zu lernen. In der Natur werden keine Stoffe hergestellt, die niemand brauchen kann. Nur der homo sapiens hat dies geschafft. Aber sind wir wirklich so wissend, wenn nur fünf Prozent der Biomasse einer Palmenplantage als Palmöl oder sogar nur 0,2 Prozent einer Kaffeeplantage als Kaffee verkauft, aber 95 Prozent beziehungsweise mehr als 99 Prozent verbrannt werden? Ziel muss es doch sein, 100 Prozent zu nutzen.

Das Prinzip von ZERI erfordert daher ein Umdenken. Jeder Abfall wird zum Ausgangsstoff für den nächsten Produktionsschritt. Während wir es aber gewöhnt sind, nicht verwertbare Abfälle herzustellen oder in Kaskaden "Down-Cycling" zu betreiben - also aus Kunststoffabfällen etwa Blumentöpfe herzustellen - gilt es, über das Kerngeschäft hinaus zu denken, Netzwerke aufzubauen, Kooperationen zu entwickeln, um eben in Clustern zum Beispiel neben Bier auch Brot, Fische, Biogas und vieles mehr herzustellen. Im nächsten Projekt plant Gunter Pauli sogar, aus Pilzen vegetarische Würstchen herzustellen.

Ein Konzept für das 21. Jahrhundert Aufwertung statt Down-Cycling heißt die Maxime. Wir müssen endlich in der Wirtschaft die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Systemdenkens umsetzen. Der bekannte österreichische Physiker und Philosoph Frithof Capra dazu: "Wir müssen das ökologische Alphabet lernen."

"Das Konzept der Zero Emissions soll die Norm für das 21. Jahrhundert werden. Sämtliche Rohstoffe werden im Prozess verwendet. Alles, was nicht gebraucht werden kann, wird in anderen Industrieprozessen als wertschaffender Input zugeführt", hieß es bereits 1996 im japanischen White Book on the Environment. In der ISO-Norm 21000 findet das ZERI-Konzept seinen normativen Niederschlag.

Mit der ersten Genehmigung rechnet man ab 2005. In Japan haben sich zahlreiche Firmen entschlossen und verpflichtet, in den nächsten fünf bis zehn Jahren ihre Produktion nach dem ZERI-Konzept umzustellen. "Fuji Xerox" hat damit an seinem Standort in Takematsu bereits begonnen. Rund 50 japanische Brauereien führen derzeit ZERI ein. "Hitachi" will seine Produktionsanlagen bis 2010 umgestellt haben. Eine große Herausforderung wird sein, das ZERI-Konzept auch auf andere Stoffströme zu übertragen.

Die Autoren sind sind Mitarbeiter von Umwelt Management Austria an der NÖ-Landesakademie in St. Pölten

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