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Karl-Kraus-Film

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Es glich ein wenig einer Leichenfeier! Der Redner bat das Publikum, von Beifallsäußerungen abzusehen und mit gesammeltem Ernst seinen Ausführungen zu folgen. Der Ernst, der hier aufgeboten wurde, galt Karl Kraus, der Redner hieß Hans Weigel. Zwei Offenbach-Arien sang — über den fehlenden Applaus etwas verstört wirkend — Elfriede Ott.

Fehlte einerseits der Beifall, so waren Äußerungen des Unmuts sehr wohl zu vernehmen. Die galten aber keineswegs dem großen Satiriker, „Wiens getreue-stem Hasser“, sondern Hans Weigel, des-Hen leise Stimme ein nicht gerade glücklich gewähltes Instrument für die wohlüberlegte, wenn auch farblose Gedenkrede darstellte.

Schließlich kam Karl Kraus selbst zu Wort. Und das war für das Auditorium ein ungeheuer packendes Erlebnis: Der Kilm, aufgenommen vqn einem Amateur, mit allen technischen Mängeln der dreißiger Jahre behaftet, ließ Karl Kraus lebendig werden. In einem Saal, der zum größten Teil von jungen Menschen besetzt war, die Karl Kraus nur aus seinen Büchern kennen. Drei kurze Stücke las Karl Kraus. Nicht einmal charakteristisch ausgewählt. Und doch schlugen die wenigen Minuten, in denen die Stimme erklang — die sich so ganz anders anhörte, als man sich vorstellte, die Stimme, die dem kleinen, verwachsenen Mann auf der Leinwand gehörte —, die Zuhörer in einen Bann, der für wenige Minuten die vielen hundert Vortragsabende Karl Kraus' im Wiener Mozart-Saal lebendig werden ließ. Die Stimme tröstete die Verehrer des kleinen Mannes und entschädigte sie für vieles. Etwa für den Mißbrauch — um nicht von Leichenschändung zu sprechen —, den Wiens Kabarettisten mit seinen Werken anstellen ...

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