Tiefgang statt Tiefe

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"Mit Leidenschaften ist nicht zu spaßen" oder doch? Pirandellos Stück im Burgtheater.

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"Mit Leidenschaften ist nicht zu spaßen" oder doch? Pirandellos Stück im Burgtheater.

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Bei der Uraufführung von Luigi Pirandellos "Heute Abend wird aus dem Stegreif gespielt" in Königsberg 1930 nahm das Publikum die Zwischenrufe der im Zuschauerraum verteilten Schauspieler noch ernst, stieg voll ins künstliche Chaos ein, produzierte ein echtes und er war da, der Theaterskandal. Anno 2000 folgt ein animiertes Publikum amüsiert dem Spektakel. Höchstens lässt sich da oder dort wer zu einer Wortspende hinreißen.

Karin Beier inszenierte das Stück im Burgtheater unter neuem Titel: "Mit Leidenschaften ist nicht zu spaßen!" Mit gutem Grund. Denn es handelt sich tatsächlich um etwas Neues. Der Unterschied ist ungefähr so groß wie der zwischen Jonathan Swifts beißender Satire auf die Zustände seiner Zeit und "Gullivers Reisen" für Kinder. Zwar wird Pirandellos Text gesprochen, doch Pirandellos provokative Absicht geht völlig unter. Bedenkt man, dass das Stück des längst berühmten, damals bereits 62-jährigen Pirandello vor der deutschen Uraufführung von keiner italienischen Bühne angenommen wurde, kann man nachvollziehen, welchen Schock dieses Spiel mit Schein und Wirklichkeit anhand der Wirklichkeit und Scheinwirklichkeit des Theaters damals auslöste. Er hatte wohl mehr im Sinne als Klamauk.

Die Burgtheater-Aufführung ist unterhaltend und bietet den Augen allerhand, doch zu wenig von dem, worauf es ankäme. Dabei sind die Szenen, in denen Klamauk angesagt ist, auch ganz im Sinne Pirandellos, am besten gelungen. Martin Reinke ist zwar ein ganz anderer Doktor Hinkfuß als vom Autor vorgesehen, dafür ein sehr heutiger, die köstliche Karikatur eines Stadttheater-Regisseurs. Jenes Stadttheaters, das neuerdings tief ins Burgtheater hineinreicht. Reinke ist in dieser Rolle ein Vergnügen mit hohem Wirklichkeitsgehalt.

Doch im Lauf des Stücks wird das Spiel mit Schein und Wirklichkeit immer ernster und die gespielte Tragik konzentriert sich zur echten. Und da kommt das ins Burgtheater einmarschierte Stadttheater nicht mit. Nun greift die Regisseurin zu allen abgegriffenen und abgeschliffenen Mitteln des Regietheaters. Nicht, dass der Klamauk bei ihr origineller wäre, doch die Abgenütztheit des Klamauks fällt allemal nicht so unangenehm auf. Gerade noch haben die Darsteller einander mit Wasser bespritzt und mit Mehl einpaniert, da wird es traurig. Jeder weiß, gleich werden die verdreckten Packpapiere eingerollt und auch die brennenden Kerzerln auf dem Fußboden sind keine Überraschung, sondern Inflations-Kleingeld des Regietheaters. Und so stirbt dann denn auch Annette Paulmann: Sehr theaterwirksam und schön.

Die Aufführung leidet an ihrer Konventionalität. Nicht mit, nur gegen die Konvention ließe sich dieses Stück aber im Sinne Pirandellos neu beleben. Nur mit einer neuen Provokation. Eine höllisch schwere Aufgabe, zugegeben. Aber anders hat Pirandello, vor allem dieser, wenig Sinn.

Gespielt wird durchwegs ausgezeichnet. Die Zuziehung italienischer Darsteller war eine gute Idee, eine der wenigen nicht konventionellen. Auch die Bühnenmaschinerie darf wieder einmal zeigen, was sie kann.

Pirandello könne so funktionieren, das sei keine Frage, schrieb ein Kritiker. Es ist ihm recht zu geben. Pirandello kann so funktionieren. Die Crux dieser Aufführung ist nur: Welchen Sinn hat, gerade bei Pirandello, eine Aufführung, die funktioniert, die aber darüber hinaus kaum etwas zu bieten hat? An der nichts provoziert, nichts sich sperrt, nichts verunsichert?

Unterhaltung mit dem vielzitierten Tiefgang also, der das Gegenteil von Tiefe ist.

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