Von der Würde eines "einzigen Menschenlebens"

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Der Schriftsteller, Übersetzer und Journalist Ivan Ivanji feiert am 24. Jänner seinen 80. Geburtstag. Geboren im "multikulturellen" Banat im Norden Serbiens, pendelt Ivanji heute zwischen Belgrad und Wien, schreibt Bücher, ist ein gesuchter Gesprächspartner und wirkt als Vermittler zwischen Serbien und Europa.

Es war die beste Zeit meines Lebens", sagt Ivan Ivanji über jene fünfzehn Jahre, während derer er dem jugoslawischen Staatschef Tito als Dolmetscher dienen durfte. Und fügt, fast entschuldigend, hinzu: "Es war ja auch das beste Alter in meinem einzigen Menschenleben."

Man muss bei Ivan Ivanji stets auf der Hut sein, dass man nicht auf sein Understatement hereinfällt. "Mein einziges Menschenleben": Die Worte kaschieren, dass in dieser Biografie mehr Geschichte eingeschrieben ist, als in einem Roman Platz hat. Mehr als ein dutzend Romane hat der Schriftsteller Ivan Ivanji veröffentlicht, viele davon sind autobiografisch gefärbt.

Ungarn, Serben, Deutsche

Sein jüngstes Werk, 2008 erschienen unter dem Titel "Geister aus einer kleinen Stadt", führt nach Großbetschkerek, das heute Zrenjanin heißt und im Banat liegt, jener Region im Norden Serbiens, die ganz früher zu Ungarn gehörte und von 1716 bis 1918 Teil des Habsburgerreichs war. In dieser Stadt, wo zu gleichen Teilen Ungarn, Serben und Deutsche lebten, wurde Ivan Ivanji am 24. Jänner 1929 als Sohn eines Arztes geboren. Sein letzter Roman zeichnet ein liebevolles Bild jener, heute würde man sagen: multikulturellen Gesellschaft, in der es wohl Unterschiede des Standes gab und entsprechende Konflikte, aber nicht der "Rasse". Dann marschierten die Deutschen ein.

"Wenn Hitler und Himmler nicht gewesen wären, wüsste ich gar nicht, was das ist, ein Jude", sagt Ivan Ivanji. Dank ihnen erfuhr er, dass er selbst einer war. Die Nazis ermordeten seine Eltern und deportierten ihn, nachdem er sich eine Zeitlang bei Verwandten versteckt hatte, im Frühjahr 1944 nach Auschwitz und von dort nach Buchenwald, wo er bis zu seiner Befreiung im April 1945 schuften musste - ein Schicksal, von dem er in seinem Roman "Der Aschenmensch von Buchenwald" ein eindringliches Zeugnis gibt.

Europas verlorene Illusionen

Nach der Befreiung aus dem KZ erlebte Ivanji die Russen. Sie imponierten ihm, im Gegensatz zu den Amerikanern, und er wurde Kommunist, das heißt: Titoist, was er nach eigenem Bekunden bis heute geblieben ist. Er arbeitete in vielen Berufen, unter anderem als Lehrer, Intendant und Diplomat. Seine Herkunft, die ihn in drei Sprachen zuhause sein lässt, prädestinierte ihn zu Titos Dolmetscher, außerdem zum Übersetzer von Brecht, Borchert, Grass und Danilo Kis - und zum Korrespondenten während des Ungarn-Aufstands 1956. Auch daraus wurde ein Roman: "Ein ungarischer Herbst", der freilich kein Fanal der Freiheit besingt: "Wenn Parolen aufkommen:, Hängt die Kommunisten und die Juden', ist das nicht Friede, Freude, Eierkuchen", sagt Ivan Ivanji.

Dann starb Tito, und Ivan Ivanji verlor zum zweiten Mal seine Heimat. Als Slobodan Milo\0x02C7sevi´c zum Chef "seiner" Partei wurde, trat er aus ihr aus, und als "sein" Staat sich Anfang der neunziger Jahre zerfleischte, emigrierte er mit seiner Frau nach Wien. Heute pendelt Ivan Ivanji zwischen Belgrad und seiner kleinen Wohnung im 19. Bezirk, schreibt unermüdlich Bücher und ist ein gesuchter Gesprächspartner. Für sein Wirken als Vermittler zwischen Serbien und Europa wurde er zuletzt, wenige Tage vor seinem 80. Geburtstag, mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse ausgezeichnet.

Ivan Ivanjis Leben und Werk zeugen, wie wenige andere, von den verlorenen Illusionen Europas - und von der unzerstörbaren Würde eines "einzigen Menschenlebens". Wer das Glück hat, mit ihm zu sprechen, staunt erst über die vornehme Sanftheit seiner Skepsis, bis er begreift: Das ist ein echter jugoslawischer Gentleman.

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