"Was ist ein ‚männlicher‘, ein ‚weiblicher‘ Blick?“

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Für "Blau ist eine warme Farbe“ errangen Abdellatif Kechiche und seine beiden Hauptdarstellerinnen die Goldene Palme in Cannes 2013.

Drei von Abdellatif Kechiches bisher fünf Filmen - "L’Esquive“, "Couscous mit Fisch“ und "Voltaire ist schuld“ - erzählen von nordafrikanischen Protagonisten der Arbeiter-Klasse und reflektieren Kechiches eigenen Hintergrund: Geboren in Tunesien, aufgewachsen in Nizza und mittlerweile in Paris (im Belleville-Gebiet der "Araber-Stadt“) lebend, arbeitet der 53-Jährige auch definiert durch die eigene Biografie. Auch in seinem neuen Film, der epischen Liebesgeschichte "Blau ist eine warme Farbe“, ist der Konflikt Arbeiterklasse vs. moderne Bohême ein Thema, als sich die junge Adèle und die Kunststudentin Emma verlieben. Nach der Auszeichnung mit der Goldenen Palme in Cannes dieses Jahr geriet der dreistündige Film vor allem wegen einer ca. sechsminütigen Sexszene zwischen den beiden Frauen unter Beschuss. Kechiche macht hier durchaus eine bewusste und sozial-politisch motivierte Orchestrierung gegen seine Person aus, wie er sagt:

Die Furche: Für viele kam der Sturm gegen den Film nach seiner Prämierung in Cannes überraschend, und bald schlich sich die beunruhigende Vermutung ein, es gehe hier darum, dass man in Frankreich einen nordafrikanischen Regisseur einfacher dafür attackieren könne, eine homosexuelle Liebesgeschichte zu erzählen. Wie rekapitulieren Sie die Ereignisse?

Abdellatif Kechiche: Am Anfang stand ich deswegen kurz vor einer Depression. Doch dann bin ich auch in eine Phase des Analysierens eingetreten und Sie haben Recht, wenn Sie die Erklärung für die Vorwürfe im Sozial-Politischen sehen. Mittlerweile habe ich eine vage Ahnung, die aber doch sehr schockierend ist, und die ich lieber nicht direkt und explizit äußern möchte. Aber Sie sind schon auf dem richtigen Weg.

Die Furche: Was entgegnen Sie dem Vorwurf, ihre Inszenierung der Liebe zwischen zwei Frauen sei geprägt von dem in der Gender-Forschung als "male gaze“ bezeichnetem "männlichen Blick“?

Kechiche: Da möchte ich schon ganz genau wissen, was ist denn ein ‚männlicher‘ Blick - oder ein ‚weiblicher‘ Blick? Diesen Vorwurf halte ich für eine sehr hohle Kritik. Ich halte sie sogar für gefährlich, weil sie vorschlägt, Menschen zu kategorisieren, sie in Schubladen zu stecken, und letztendlich ist genau das eine Wurzel für Rassismus und für Homophobie. Muss ich eine Frau sein, um Frauen beim Sex zu filmen - oder umgekehrt? Worauf es ankommt, ist doch, mit welcher Sensibilität man auf Menschen schaut, und nicht mit welcher sexuellen Präferenz.

Die Furche: Andere Kritik betraf Ihre eigene Person: Sie wären ein Tyrann und pervers. Sie sind zweifellos bekannt dafür, nicht zimperlich zu sein - aber das hört man über zig andere Regisseure genauso ...

Kechiche: Klar schreie ich auch einmal am Set, und ich bin fordernd. Aber was diese konkreten Vorwürfe angeht, gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie sind berechtigt, also ich bin ein "Tyrann“, ein "Perverser“, einer der "Menschen manipuliert“. Wenn das so ist, dann müsste das Gesetz eingreifen und mich bestrafen, weil ich ja eine Straftat begangen hätte. Die zweite Möglichkeit ist, dass das alles nicht wahr und orchestriert worden ist. Hier mache ich der französischen Presse einen großen Vorwurf, dass sie nicht recherchiert oder die Dinge hinterfragt hat. Sie haben einfach ihre Arbeit nicht gemacht. Ja, ich bin auch verteidigt worden, aber im Glauben, dass ich so ein "Tyrann“ sei, so ein "Perverser“, und man hat mich damit "entschuldigt“, ich sei ja ein "Schöpfer“, als dürfe ich das dann sein. Diese Verteidigung bringt mir gar nichts, weil sie davon ausgeht, dass die Vorwürfe stimmen.

Die Furche: Ist es nicht bizarr, dass über Ihren Film "Black Venus“, der die tragische Geschichte der auf Jahrmärkten vorgeführten Sklavin Sarah Baartman erzählt, keine Exploitations-Diskussion geführt wurde, aber hier schon?

Kechiche: Das ist absolut richtig. Tatsache ist: Der Film ist ja kein Statement über Homosexualität und auch nicht über deren (sozial)politische Dimension. Es ist eine Liebesgeschichte: In einer Liebesgeschichte geht es um Menschen, und hier gibt es auch Sex. Es ist wenig verständlich, dass Sex in der Kunst immer noch so schockiert, dass es immer noch die Zensur beschäftigt und dass man sich immer noch die Fragen stellen muss, was denn die Motivation sei, einen Körper zu filmen, einen männlichen Körper, einen weiblichen Körper, Sex-Szenen.

Die Furche: Wie sehen Sie nun Ihre nahe Zukunft als Regisseur in Frankreich?

Kechiche: Heute wäre es mein Wunsch, mit Filmen aufzuhören. Natürlich bin ich aber auch ein Mensch, der sich verändert, und ich hoffe, dass, sobald ich mich von diesen Emotionen, die es um die Rezeption dieses Films gab, bereinigt habe, ich dann durchaus wieder Lust hätte, weiter Filme zu machen. Nur momentan, da bin ich sehr müde, auch was mein Verhältnis zum Kino betrifft.

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