Wege in Die Unabhängigkeit

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Bettina BalÀka thematisiert die FrauenBewegung und die auswirkungen der monarchie Bis heute.

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Bettina BalÀka thematisiert die FrauenBewegung und die auswirkungen der monarchie Bis heute.

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Das Jahr 1918 markiert wohl einen der bedeutendsten Einschnitte in der österreichischen Geschichte. Nach dem Zerfall der Donaumonarchie wird zeitgleich mit der Ausrufung der Ersten Republik das aktive und passive Wahlrecht für Frauen eingeführt, das die Männer bereits 1907 erhalten haben. Mit dieser fundamentalen politischen Zäsur und neuen sozialen Verhältnissen geht auch der sukzessive Wandel der Rolle der Frau in der Gesellschaft einher.

100 Jahre später setzt sich die in Salzburg geborene Autorin Bettina Balàka in ihrer Essaysammlung "Kaiser, Krieger, Heldinnen" mit den Kontexten dieser historischen Ereignisse von 1918 auseinander, deren Ausläufer zum Teil bis in die heutige Zeit hinein sichtbar sind. Dabei lässt sie, wie es im Klappentext heißt, ein "Making-of des modernen Europa" quasi mit "besonderem Blick" auf die Frauen transparent werden. Einige dieser Texte hat sie bereits publiziert (unter anderem in der FURCHE), für diese Veröffentlichung aber noch einmal überarbeitet.

Schon einmal hat Balàka das Zeitpanorama des Ersten Weltkriegs - anhand des Schicksals eines Kriegsheimkehrers - in den Fokus gerückt, nämlich in ihrem 2006 erschienenen Roman "Eisflüstern", für den sie jahrelang intensiv recherchiert hat.

Hier widmet Balàka das erste und längste Kapitel den "Heldinnen" in der Geschichte der Frauenbewegung, den Vorreiterinnen im Aufstehen gegen festgeschriebene Weiblichkeitsmuster. In ihren sozialkritischen Betrachtungen lässt sie auch persönliche Erinnerungen aufblitzen, die Ausgangspunkt für die Reflexion geschlechtsspezifischer Rollenbilder und Umbrüche sind: So scheint es heute kaum vorstellbar zu sein, dass die Wiener Verkehrsbetriebe erst 1992 Busfahrerinnen eingestellt und die Austrian Airlines Frauen gar erst 2000 zum Auswahlverfahren für Piloten zugelassen haben. Die Vorurteile spiegeln nur die Sozialisation wider, aus der die gesellschaftliche Verinnerlichung festgefügter Bilder von Weiblichkeit resultiert. Auch dass die Wiener Philharmoniker erst 1997 die erste Harfenistin aufnehmen - noch lange werden bei Filmaufnahmen nur deren Hände gezeigt - und die Spanische Hofreitschule überhaupt erst seit 2016 (!) eine Bereiterin hat, ist nicht überraschend.

Hindernisse auf dem Weg

Trotz ihrer Verankerung in Männerberufen während der Kriege war es für Frauen schwer, nach der Rückkehr der Männer in der außerhäuslichen Arbeitswelt Fuß zu fassen. Balàka zeigt anhand literarischer Beispiele, dazu gehört beispielsweise ein 1892 erschienener Roman von Ada Christen, wie sich Frauen "durch Erwerbsarbeit" einen Weg in die Unabhängigkeit zu bahnen versuchen. Dennoch bietet Christen, wie Balàka analysiert, den Lesenden mehrere Identifikationsmöglichkeiten. Neben der nach Freiheit strebenden Ehefrau, die Mann und Kind im Stich lässt, fungiert die sich für den gebrochenen Kriegsheimkehrer aufopfernde "herzensgute" Frau als "eigentliche Sympathieträgerin", weil sie dem Ganzen "die Schärfe nimmt".

Am Beispiel einer 1899 erschienenen Novelle von Ilse Frapan thematisiert Balàka Schwierigkeiten und Hindernisse, mit denen Frauen hinsichtlich des Hochschulzugangs zu kämpfen haben. Darüber hinaus geht es auch um "sexuelle Übergriffe -vom Vorgesetzten auf die Untergebene, vom Ehemann auf die Ehefrau". Eine Protagonistin wehrt sich mit aktuell anmutenden Worten: "Lieben, wen ich mag, gehören, wem ich mag - das ist mein Menschenrecht."

schon einmal hat Bettina Balàka das Zeitpanorama des ersten weltkriegs in den Fokus gerückt, nämlich in ihrem 2006 erschienenen roman 'eisflüstern'.

Und welche Rolle spielt heute eigentlich noch das ehemalige Kaiserreich? Gibt es in unserer Zeit so etwas wie eine österreichische nationale Identität? Wenn ja, handelt es sich tatsächlich um eine "europäische, kosmopolitische", die auf der "Tradition der Monarchie" beruht? Wer hätte den Verlust dieses weltbürgerlichen Bewusstseins wohl eindringlicher schildern können als der Schriftsteller Joseph Roth, der sich nach dem Zusammenbruch der Monarchie als "vaterlandslos" betrachtet hat. Die frühe Lektüre der Schriften Roths habe, so Balàka, ihre eigene "- zugleich utopische und nostalgische -Vorstellung von einer staatsgrenzenlosen Welt, der Welt als Heimat geprägt". So fuße auch die Abschaffung der Adelsprädikate in Österreich auf dem Bewusstsein, dass "alle gleich geboren" sind. Dieses Bewusstsein sei "den Begründern der Ersten Republik" geschuldet. Eine Erinnerung gilt der Einreise der einstigen Kaiserin Zita nach Österreich, die der damalige Bundeskanzler Kreisky ermöglicht hat; die komplexe politische Situation von 1918 manifestiert sich noch einmal in der Sichtung der Filmdokumente, die von der letzten Zugfahrt des ermordeten Thronfolgers von Triest über Graz nach Wien vor seiner Bestattung im Schloss Artstetten erhalten sind. Nationalismen sind geblieben, Balàka verweist auf den Ortstafelstreit, auf Minderheiten, kulturelle Traditionen und das Sprachensterben.

Jüngste Geschichte

Wäre es möglich, in einem österreichischen Museum die Situation in Luftschutzkellern bei nahenden Bombenangriffen erfahrbar zu machen wie im Londoner Imperial War Museum "The Blitz Experience" oder "The Trench Experience"?"Nach zwei Weltkriegen, Größenwahn, Massenmord, Niederlage und Schuld" wohl kaum: "Zu viele leben noch, die es miterlebt haben, sie schämen sich, all das mitangezettelt oder zumindest nicht verhindert zu haben." Dass moderne Museumspädagogik auf Anschaulichkeit und Erlebnisräume setzt, macht grundsätzlich Sinn. Aber die Grenze zur "Geschmacklosigkeit" ist sicherlich fließend, wenn man den "Krieg als Freizeitabenteuer" nachstellt.

Balàkas Reflexionen gehen ein gutes Stück in die jüngste Geschichte zurück, entspringen oft Persönlichem und eröffnen in einer einfachen, klaren Sprache anregende und aufschlussreiche Horizonte. Den Essays, die auf minuziösen Recherchen und umfangreicher, im Anhang angeführter Lektüre basieren, liegt eine kosmopolitische, weltoffene Haltung zugrunde, die Balàka als moderne Europäerin ausweist.

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