MIT ERNÜCHTERNDER IRONIE BEOBACHTET

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BETTINA BALÀKA BETREIBT GRÜNDLICHE RECHERCHEN UND BAUT IHREN BÜCHERN DOPPELTE BÖDEN EIN.

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BETTINA BALÀKA BETREIBT GRÜNDLICHE RECHERCHEN UND BAUT IHREN BÜCHERN DOPPELTE BÖDEN EIN.

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Bettina Balàka erzählt in Interviews gerne, dass sie schon in der Volksschule von der Lehrerin für ihre Gedichte gelobt wurde und dass der Satz "Du hast das Zeug zum Schriftsteller" ihren Berufswunsch auslöste. Auch im Gymnasium war sie als Geschichtenerzählerin beliebt, doch dann entschied sich erst einmal für ein Englisch- und Italienisch-Studium am Dolmetscher- und Übersetzungsinstitut in Wien. Als 1994 ihr erster Gedichtband "Die dunkelste Frucht" erscheint, ist sie 28 Jahre alt und erfindet sich für ihre Schriftstellerinnenkarriere einen Namen. Passend zum Vornamen sollte er mit B beginnen und ausländisch klingen: Aus Bettina Wieland wird Bettina Balàka. Dieser Name könnte auf eine ungarische Herkunft verweisen, würde der Akzent korrekt sein.

Erfinden und Enthüllen

Es ist kein Zufall, dass man in ihren Büchern öfter Personen mit ungarischer Genealogie begegnet, in ihrem jüngstem Roman sogar einem schwarzen Hund mit ungarischem Pass. Mittlerweile hat sie den feministischen Akt eines eigenen Nachnamens, der weder vom Vater noch vom Ehemann übernommen wurde, und den auch die Tochter trägt, in ihren Pass eintragen lassen und freut sich, dass sie als Schriftstellerin eine Dynastie begründen kann. Dass ihr Name tatsächlich "kakanisch" klingt, musste sie erfahren, als bei der Umbenennung von der Behörde geprüft wurde, ob es sich nicht um die "Anmaßung eines (möglicherweise ungarischen?) Adelsnamens handle."

Dieses Spiel mit Fiktionen und Fakten findet sich nicht nur im Leben der Autorin, sondern auch in ihren Büchern, die immer einen doppelten Boden haben. Bettina Balàka zählt zu den produktivsten und vielseitigsten Schriftstellerinnen in Österreich. Mehrere Gedicht-und Erzählbände, Theaterstücke und Hörspiele, Essays und bisher vier Romane zählen zu ihrem Œuvre, für das sie mehrfach ausgezeichnet wurde. Zu ihrer Vielseitigkeit gehört auch, dass sie für alle Texte genau recherchiert und nach einer geeigneten ästhetischen Form sucht. Sie wechselt dabei gekonnt die Genres, vom historischen Roman "Eisflüstern" (2006) über die Folgen des Ersten Weltkriegs bis zu ihrem jüngsten Roman "Unter Menschen"(2014), der sich an berühmten Vorbildern wie Marie von Ebner-Eschenbachs Hundeerzählung "Krambambuli" messen kann. Bettina Balàka greift in ihren Büchern brisante und gesellschaftspolitisch aktuelle Themen auf und erzählt spannend und unterhaltsam, ohne Scheu vor Klischees und der Trennung von High und Low, die sie mit ernüchternder Ironie unterläuft.

Nicht selten ist Bettina Balàka ungehalten über gesellschaftliche Verhältnisse, ja bisweilen sogar wütend wie in ihrem Essay "Messer"(2000) über die universale Verwertbarkeit und Zurichtung des weiblichen Körpers. Sie kämpft dabei nicht nur gegen die Messer der Chirurgen bei diversen Schönheitsoperationen, sondern auch gegen die Messer im Kopf der Frauen, die auf die vermeintlichen Angebote von "Selbstbestimmung" hereinfallen und "kaufen und fressen" und "tatsächlich das bescheuertere Geschlecht" sind. Sie will das aber nicht akzeptieren und schreibt dagegen an. Mit Witz und Eigensinn entlarvt sie postfeministische Verhaltensweisen bei Frauen und Männern und greift Stoffe auf, die in der Unterhaltungsliteratur oder esoterischen Ratgebern verhandelt werden wie in ihrem brillanten Roman "Kassiopeia"(2012), der vieles zugleich ist: Ein Liebesroman, ein Familienroman, ein Roman über das Schreiben und das alles ist raffiniert ineinander verwoben.

Im Mittelpunkt des Geschehens steht Judit Kalman, eine wohlhabende Frau in den Vierzigern, die eines Tages in einer Buchhandlung den Roman "Kassiopeia" des jungen Erfolgsautors Markus Bachgraben entdeckt. Sie kauft ihn aufgrund des Klappentextsatzes "Am Ende steht die Gewissheit, dass jeder sein Glück findet, der mit offenen Augen durchs Leben geht". Sie hält das Buch für ein Meisterwerk, das geschrieben worden ist, um sie zu trösten und will mit ihm ein neues Leben beginnen. Judit möchte sein "Schutzengel" werden, anders ausgedrückt erfüllt sie das Täterprofil einer "Stalkerin". Sie spioniert ihm nach und entwickelt in ihrem Liebeswahn beachtliche kriminelle Energien, verfolgt ihn bis nach Venedig, das für romantische Liebesabenteuer seit langem berühmt ist.

Von Menschen und Hunden

Mit durchtriebener Komik inszeniert Bettina Balàka in "Kassiopeia" eine Liebesgeschichte, in der Literatur und Leben immer wieder durcheinandergeraten und schließlich keiner der beiden Spieler die Fäden in der Hand hat. Denn auch Markus Bachgraben gebraucht Judit Kalman für ein Experiment und behandelt sie "wie eine literarische Figur".

In ihrem neuen Roman "Unter Menschen" erzählt sie nur scheinbar die Geschichte eines Mischlingshundes mit zahlreichen Namen je nach Lebensabschnittsbesitzer. Berti, Fekete, Robert Pattinson, Ricky, Zorro und Bagheera kann er heißen - dass die Mehrzahl der Namen auf Filmhelden verweisen, ist kein Zufall. Überall, wo Berti hinkommt, hinterlässt er seine Spuren und bestimmt auf unterschiedliche Weise das Schicksal seiner diversen Herren und Damen. Erzählerisch führt uns die allwissende Erzählerin, die bisweilen auch kommentierend eingreift und immer Distanz bewahrt, von Ungarn nach Österreich, bis an die brasilianische Copacabana und wieder retour nach Wien. Mit großer Lust entlarvt die Autorin dabei Klischees und Wunschvorstellungen, die sich mit Hunden verknüpfen, als sentimentalen Kitsch. Auf Hunde werden, unterstützt von Zeitschriften, Fernsehserien und Hundebüchern, gerne alle möglichen menschlichen Eigenschaften projiziert, denn nichts ist so erforscht wie die Psychologie des Hundes. So lernen wir ihn als Streitschlichter ebenso kennen wie als Detektiv. In Bettina Balàkas Roman muss Berti eine Odyssee mitmachen, von Hundewahnsinnigen, einem depressiven Physiker bis zu einer Herrin, die ihre Wohnung in einen Dschungel verwandelt und mit Tieren vollstopft, bis schließlich doch ein Happy End in Sicht ist.

Balàka erweist sich in "Unter Menschen" wieder als Meisterin des episodischen Romans, und es gelingt ihr, auf scharfsichtige wie spannende Weise Kuriositäten von Menschen und Hunden zu enthüllen. Das Buchcover ziert eine Abbildung des eigenen Hundes, dem sie am Ende auch dankt.

Bettina Balàka, geboren am 27. März 1966 in Salzburg, lebt als freie Schriftstellerin in Wien.

Unter Menschen

Roman von Bettina Balàka

Haymon 2014 325 S., geb., € 19,90

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