Wenn eine und einer eine Reise tun

19451960198020002020

Dem gebürtigen Vorarlberger Hans Weingartner gelingt in seinem Opus "303" neuerlich ein filmischer Coup: Ein sehenswertes Roadmovie, das eine Seelenverwandschaft offenbart.

19451960198020002020

Dem gebürtigen Vorarlberger Hans Weingartner gelingt in seinem Opus "303" neuerlich ein filmischer Coup: Ein sehenswertes Roadmovie, das eine Seelenverwandschaft offenbart.

Werbung
Werbung
Werbung

Nachdem Faust die akademischen Disziplinen seiner Zeit ausgiebig studiert hat, gesteht er sich am Anfang von Goethes Drama ein, dass ihm doch all seine Wissensplackerei nichts eingebracht habe. Der Welt steht er noch genauso fremd gegenüber wie zuvor. Er schließt: "Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen."

Auch die beiden Protagonisten von Hans Weingartners neuem Film "303" befinden sich in dieser kritischen Situation, die Parallelmontage knüpft bereits erste Bande zwischen ihnen. Jule und Jan studieren an der Berliner Humboldt-Universität, und all ihre Gewissheit ist ihnen gerade zwischen den Fingern zerronnen, ihre Bemühungen kamen nicht wirklich von Herzen. Die schwangere Jule hat ihre Biologie-Prüfung an die Wand gefahren und Jan die Antragstellung für ein Stipendium verpatzt.

Wenn man nun nicht mehr weiß, was die eigene Welt im Innersten zusammenhält, gibt es die unterschiedlichsten Strategien, das wieder herauszufinden. Weingartner wählt den Lösungsweg von Goethes Faust. Er schickt seine zwei Figuren auf die Reise und lässt sie es erfahren. Und zwar Etappe für Etappe. So beschließt Jule, sich nach Portugal zum Vater ihres Kindes aufzumachen, während Jan seinen leiblichen Vater, von dem er erst seit Kurzem weiß, in Spanien aufsuchen will. An einer Raststätte lernen sie sich kennen. Jule lässt Jan, der von seiner Mitfahrgelegenheit versetzt wurde, in ihrem Oldtimer-Campingmobil mitfahren. Zunächst nur bis Köln. Aber sie kommen nicht mehr voneinander los. Durch ihre Gespräche, in denen sie über sich, ihre Ideale und Anschauungen reden, nähern sie sich immer mehr an. Sie erleben in der Praxis, durch ihr konkretes Handeln, durch das Teilen des gemeinsamen Alltags, was sie theoretisch entfalten und dem anderen zu bedenken geben. Sie versorgen sich gemeinsam, sitzen abends gemütlich beim Grill, machen Sightseeing oder vergnügen sich beim Baden.

Liebe: Kommunikation. Treue zu sich selbst

Dabei realisieren sie, wie nebenbei, was zwischen ihnen alles bestens funktioniert, korrigieren jedoch auch ihre Ansichten. Es ist nicht die romantische Liebe, die das Liebesobjekt bewundert und anhimmelt und von ihm glaubt, dass es die Wünsche des anderen in den Gedanken lesen kann, oder die es für die Bestätigung des eigenen Selbstwertgefühls braucht. Eher stellen Jule und Jan zwei vernünftige Subjekte dar, die begreifen, dass Liebe und das Zusammenleben als Paar in erster Linie einmal über Kommunikation und Treue zu sich selbst gelingen kann.

Obschon die Fahrt fast zweieinhalb Stunden dauert, es geht durch Deutschland über Belgien nach Frankreich, nach Spanien und Portugal, schlägt sie den Zuschauer in ihren Bann. Denn der Voralberger Regisseur Weingartner hat daraus ein zauberhaft-berührendes, geistig anregendes, das existentielle Anliegen seiner Figuren ernstnehmendes Roadmovie geschaffen, das den Zuschauer zudem noch durch schöne Landschaften führt.

Und das ist vor allem auch dem klugen, ausgefeilten Drehbuch geschuldet, das er gemeinsam mit Silke Eggert schrieb. Das Autoren-Duo hat dichte und lebensechte Dialoge verfasst, die von den Schauspielern Mala Emde und Anton Spieker auf der Leinwand mit Leben erfüllt werden. Glaubhaft verkörpern sie zwei junge Menschen, die trotz allen Unglücks und aller Niederlagen weiterhin nach Wahrheit suchen, sich Gedanken über die Welt und sich selbst machen. So gewährt der Film diesen Gesprächen auch großen Raum.

Mit der Sehnsucht seiner Figuren, die Welt nach ihrem Denken, Fühlen und Empfinden zu gestalten, ist Weingartner, der 2004 mit "Die fetten Jahre sind vorbei" im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Cannes reüssierte, seinem Thema treu geblieben. Für "303" wurde er vom Festival des deutschen Films in Ludwighafen mit dem neu geschaffenen Regiepreis geehrt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung