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Und was sagt der Duden dazu?

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Fräulein Müller benützt fleißig den „Duden”, die „Rechtschreibung der deutschen Sprache und der Fremdwörter”. Er ist ihr Katechismus für die Schreibmaschine. Mit seiner Hilfe vermag sie sogar den Chef zu korrigieren, der immer kapituliert, wenn der Duden ihm widerspricht. Jüngst aber ist Fräulein Müllers Vertrauen in den Duden erschüttert worden. Sie hat entdeckt, daß es zwar nicht zweierlei Rechtschreibungen, aber zweierlei deutsche Sprachen gibt. Die eine steht im Mannheimer Duden, die andere im Leipziger Duden. Im letzteren findet sie unter „Burgfrieden” die Worterklärung: „Opportunistische Politik”, im ersteren: „Zeitweise Einstellung innerpolitischer Streitigkeiten”. Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte, denkt sich Fräulein Müller und schlägt im Duden vom Jahre 1941 nach und findet unter „Burgfrieden” die gleiche Erklärung wie im Mannheimer Duden 1958. Wie erstaunt sie aber, als sie unter „Österreich” dort liest: „deutsches Land, jetzt meist Ostmark”, während sie im Mannheimer Duden überhaupt keine Erklärung unter dem Stichwort „Österreich” vorfindet. Was braucht’s auch einer Erklärung. Es ist ganz klar, da gibt es nichts zu erklären. Fräulein Müller, die so sehr auf ihren Duden geschworen hatte, ist ein bißchen verwirrt. Da findet sie im Ost-Duden Wörter, die sie überhaupt nicht kennt. Zum Beispiel: „beauflagen” = „eine Auflage erteilen”; „verplanen”; „übererfüllen”. Unter „Überbau” wird ihr erklärt, es sei dies eine bestimmte politische Ansicht und die ihr entsprechende Institution. Neugierig geworden, schlägt sie im West- Duden nach und findet dort unter dem Stichwort „Überbau”: „vorragender Oberbau, Schutzdach”. Vollends verzweifelt wird sie, als ihr folgende Worte im Ost-Duden entgegentreten: „Komplexbrigade, Komsomolze, Kulak, Kombinat, Kader, Aspirantur, Traktorist, Franikbewegung, Stachanowbewe- gung, Kowaljowmethode, Losinski- methode, Jarowisation, Oblomowerei, Mitschuringarten, Kasch, Datsche, Natschalnik”. Unter dem Stichwort „Idealismus” findet sie die Erklärung: „eine vom Materialismus überwundene philosophische Anschauung”; in ihrem West-Duden steht hier: „Überordnung der Gedanken-, Vorstellungswelt über die wirkliche, Streben nach gemeinnützigen Hochzielen, Opfermut”. Unter „Militarismus” findet sie im Ost-Duden: „eine in imperialistischen Staaten vorkommende Unterordnung unter die militärische Kommandogewalt”, während im West- Duden das Kind schlicht beim Namen genannt wird: „Vorherrschen militärischer Gesinnung”. „Akkord” ist in der Ostsprache eine „kapitalistische Lohnform”, in der Westsprache ein „Stücklohn”. „Bonzen” findet sie in der Ostsprache keine. Das will ihr nicht einleuchten, schrieb doch ihr Bruder in der kürzesten Schularbeit des Jahrganges über den Umbruch 1938 in Österreich: „Bonzen gingen, Bonzen kamen. Amen.” Sollte es im Osten nicht auch so gewesen sein? Sie tröstet sich, als sie im West-Duden die Erklärung findet: „verächtlich für Parteigröße”.

Von der „Volksdemokratie” hat sie schon gehört. Sie steht nicht im West- Duden. „Ostpreußen” dagegen gibt es im Ost-Duden nicht. Im West-Duden gibt es zwar eine „SED = Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (Sowjetzone)”, aber keine „DDR” und keine „Deutsche Demokratische Republik”, ja nicht einmal die „Deutsche Bundesrepublik”, sondern nur „Deutschland”.

Als Konrad Duden 1880 sein „Vollständiges Orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache” herausgab, ging es ihm darum, in der allgemeinen Rechtschreibeverwirrung eine allgemein verbindliche Norm der Rechtschreibung aufzustellen, die „deutsche Einheitsschreibung”. Herr Duden hielt sich an das geschriebene Wort der Dichter und Denker. Heute streiten sich zwei Verlage um die Authentizität des Dudenschen Erbes, aus der deutschen „Einheitsschreibung” wurde eine verhängnisvolle Sprachspaltung.

Was würde Konrad Duden, dessen 50. Todestag kürzlich gefeiert wurde, zu dieser tragischen Entwicklung seiner Bemühungen sagen?

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