onlinedating - © Illustration: iStock / Oleg Lyfar

Jessica Pidoux: „Patriarchale Dating-Apps" am Valentinstag

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Viele Alleinstehende suchen am Valentinstag online nach Liebe. Doch dort werden gesellschaftliche Stereotype verstärkt. Ein Gespräch mit der Soziologin Jessica Pidoux.

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Viele Alleinstehende suchen am Valentinstag online nach Liebe. Doch dort werden gesellschaftliche Stereotype verstärkt. Ein Gespräch mit der Soziologin Jessica Pidoux.

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Längst ist Onlinedating in der breiten Bevölkerung angekommen. Einer Studie der Onlinepartnerbörse Parship.at aus dem Vorjahr zufolge ist es für 90 Prozent aller Befragten in Österreich normal, jemanden im Internet kennenzulernen. Nur vier Prozent der heute entstehenden Paare lernen sich beim Ausgehen kennen, so die Studie. Vor 20 Jahren waren es noch 34 Prozent. Über die Mechanismen hinter den Dating-Apps ist allerdings kaum etwas bekannt. Die Schweizer Soziologin Jessica Pidoux forscht am Zentrum für europäische Studien der Sciences Po in Paris, ist Leiterin der NGO „Personal Data IO“ und Gründerin des Kollektivs „Dating Privacy“. Sie spezialisiert sich auf die Nutzung und Entwicklung von Dating-Apps.

DIE FURCHE: Die im Onlinedating verwendeten Apps werden oft für ihre Datennutzung kritisiert. Was ist das Problem?

Jessica Pidoux: Man glaubt oft, dass man ein paar Daten wie Alter, Geschlecht und Wohnort eingibt, und schon spuckt die App passende Partner und Partnerinnen in der Nähe aus. Tatsächlich aber greifen die Apps auf komplexe Daten zurück. Sie scannen unsere Fotos, analysieren Informationen von verknüpften Apps wie Spotify oder Instagram und prüfen, mit welchen Menschen wir in Verbindung stehen. Auch die Konversationen, die wir auf den Dating-Apps führen, werden mittels natürlicher Sprachverarbeitung analysiert.

DIE FURCHE: Das klingt, als würde man eine Menge Kontrolle abgeben.

Pidoux: Gleichzeitig sind das keine unüblichen Techniken. Sie werden auch angewendet, um etwa E-Mails zu analysieren und automatische Antwortvorschläge zu generieren. Wir hinterlassen zahlreiche Spuren im digitalen Raum, die viel über uns aussagen. Diese Daten werden von den Apps allerdings nicht nur für die Partnersuche verwendet, sondern oft an Dritte weitergegeben, etwa an sogenannte Datenbroker, also Unternehmen, die diese Daten weiterverkaufen. So funktioniert Datenwirtschaft. Die Unternehmen der Datingindustrie sind inzwischen börsennotiert.

DIE FURCHE: Dieser Weiterverarbeitung von Daten stimmen die Nutzer(innen) meist auch zu, ohne die langen Nutzungsbedingungen gelesen zu haben. Was passiert mit den Daten, wenn ich die App lösche?

Pidoux: Die Apps erklären nicht, welche Daten geteilt werden und zu welchen Zwecken. Allerdings haben wir Tests gemacht und Bilder gelöscht. Danach haben wir eine Kopie unserer Daten auf den Apps angefordert, und siehe da: Die gelöschten Bilder waren noch gespeichert, genauso wie Konversationen, die manche mit ihren Matches vor drei, teils sogar fünf Jahren geführt hatten.

DIE FURCHE: Sie haben sich in Ihrer Arbeit viel mit dem Marktführer Tinder beschäftigt. Warum bezeichnen Sie diese App als patriarchales System?

Pidoux: Auf Tinder werden junge Frauen mit einem niedrigeren Bildungsniveau mehr älteren Männern mit einem höheren sozioökonomischen Status angezeigt. Ältere Frauen werden im Vergleich zu Jüngeren diskriminiert und auch gut ausgebildete Frauen eher weniger gut ausgebildeten Männern angezeigt. Das sind Strukturen, die auch in unserer patriarchalen Gesellschaft gegeben sind. Sie lassen sich also durch unser Nutzungsverhalten erklären, aber auch mit den statistischen Daten, die in die Programmierung eingespeist werden.

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