Psyche und Digitalisierung: „Auf dem Weg in neue Welten“
Führt die verstärkte Nutzung digitaler Geräte zur Stärkung von Identität und Selbstwirksamkeit oder doch eher zu erhöhter Suchtgefahr und Problemen mit Lernen und Gedächtnis? Der Psychotherapeut Gerhard Hintenberger im Gespräch.
Führt die verstärkte Nutzung digitaler Geräte zur Stärkung von Identität und Selbstwirksamkeit oder doch eher zu erhöhter Suchtgefahr und Problemen mit Lernen und Gedächtnis? Der Psychotherapeut Gerhard Hintenberger im Gespräch.
Gerhard Hintenberger ist Psychotherapeut in freier Praxis in Krems und Herausgeber einer Fachzeitschrift für Online-Beratung und computervermittelte Kommunikation (e-beratungsjournal). In seinen Vorträgen, Seminaren und Publikationen widmet er sich den psychosozialen Auswirkungen der Digitalisierung. Im FURCHE-Gespräch analysiert er, welche latenten Dynamiken hier nach der Coronakrise zutage treten.
DIE FURCHE: Die letzten Monate waren geprägt von „Homeoffice“ und „Home-Schooling“. Lässt sich der zwischenmenschliche Kontakt problemlos in den virtuellen Raum verlagern?
Gerhard Hintenberger: Digitale Medien ermöglichen es zum Teil, physische Trennungszumutungen auszugleichen. So ist geradezu ein regelrechter Boom bei Videokonferenzen zu beobachten. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass – trotz aller Ähnlichkeit – eine Begegnung in einer Videokonferenz nicht mit einer „Face-to-Face“-Kommunikation vergleichbar ist. Wir können uns etwa während einer Videokonferenz nicht in die Augen sehen. Zwar sehen wir die Augen des Gegenübers, aber wir schauen in die Kamera. Einverleibte Kommunikationsmuster sind hier durch ein zwischengeschaltetes Medium aufgehoben. Während einer Videokonferenz kann ich beispielsweise versuchen, mit einer Person in einer Gruppe durch nonverbale Gesten zu kommunizieren. Aber diese Person wird sich dann nicht angesprochen fühlen, da etwa meine Blickrichtung in diesem
Setting nicht eindeutig identifizierbar ist.
DIE FURCHE: Wie bewerten Sie aktuell das Nutzen-Risiko-Profil der digitalen Medien?
Hintenberger: Diese sind zunächst einmal weder gut noch schlecht. Sie erzeugen erst in Kombination mit bestimmten Risikofaktoren negative Wirkungen und benötigen bestimmte „Rahmungen“, um sich positiv entfalten zu können. Durch die Digitalisierung eröffnen sich für uns neue Lern-, Informations- und Spielewelten. Die vielgescholtenen Computerspiele werden von vielen Jugendlichen für ihr eigenes „Stimmungsmanagement“, also zur Regulation ihrer Gefühlswelten eingesetzt. Sie ermöglichen ihnen Erfahrungen der Selbstwirksamkeit sowie FlowErlebnisse. Digitale Medien haben aber auch einen Sog, der exzessives Verhalten erzeugen kann. Werden die Spiele als inadäquate Strategie zur Stressbewältigung eingesetzt, kann dies zu einem Teufelskreislauf mit suchtartigem Verhalten führen. Digitale Kommunikation wiederum stellt Möglichkeitsräume zur Verfügung, um Identitäten zu erproben und zu konstruieren. Sie helfen, Kontakte herzustellen, die real-physisch nicht so rasch möglich wären.
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