"Kaiserschnitt-Kinder sind für Krankheiten anfälliger“

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Per Kaiserschnitt geborene Kinder haben eine geringere Fülle von Mikroorganismen im Darm. Langzeitstudien zeigen, dass sie häufiger an Atemwegserkrankungen und Allerigen leiden. Das Gespräch führte Sylvia Einöder

Jedes vierte Kind in Österreich kommt per Kaiserschnitt zur Welt. Wie die operative Geburt die Entwicklung des kindlichen Immunsystems beeinflussen kann, erklärt Gynäkologe Paul Sevelda. Er ist Primarius der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe am Krankenhaus Hietzing in Wien.

Die Furche: Wie verläuft bei einer natürlichen Geburt die Besiedelung des Kindes durch Keime?

Paul Sevelda: Im Mutterleib befindet sich das Kind noch in einer völlig keimfreien Umgebung. Durch eine natürliche Geburt gelangen die Keime des mütterlichen Geburtskanals in den Magen-Darm-Trakt des Kindes. Das passiert bei einer Kaiserschnitt-Geburt nicht. Doch ein früher Kontakt mit nützlichen Bakterien trainiert das Immunsystem des Kindes.

Die Furche: Kaiserschnitt-Geburten werden mit späteren Krankheiten wie Allergien, Asthma, Fettleibigkeit oder Diabetes in Verbindung gebracht. Sevelda: Langzeitbeobachtungen zeigen, dass Kaiserschnitt-Kinder häufiger unter Atemwegserkrankungen und Allergien leiden. Sie sind auch anfälliger für Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes. Im Fall von Fettleibigkeit und Diabetes gibt es ebenso Hinweise, dass Kaiserschnitt-Kinder eher dazu neigen. Aktuell gibt es ärztliche Bestrebungen, die fehlende Besiedelung durch Keime bei Kaiserschnitt-Babys mittels gezielter Nahrungsergänzung auszugleichen.

Die Furche: Warum herrscht über die Folgen des Kaiserschnitts noch keine hundertprozentige Klarheit?

Sevelda: Bei reinen Beobachtungsstudien ist es schwierig, den ursächlichen Zusammenhang zwischen einem Kaiserschnitt und den Folgeerkrankungen nachzuweisen. Vielfach sind Kaiserschnitte ja medizinisch notwendig. In diesen Fällen ist es schwierig, die Wurzel der Krankheit festzustellen: Ist es der Kaiserschnitt per se oder sind es die medizinischen Gründe für den Kaiserschnitt gewesen?

Die Furche: Wieso hat sich die Rate der Kaiserschnitte binnen 10 Jahren verdoppelt?

Sevelda: Immer mehr Frauen wünschen sich schon beim ersten Kind einen Kaiserschnitt. Zudem stehen Geburtshelfer unter großem Druck: Kaum besteht der Verdacht einer unnötig komplizierten Geburt oder gar einer Schädigung des Kindes, kommt es zu Gerichtsverfahren mit existenzbedrohenden Urteilen. Meist fällt das Argument, dass man einen möglichen Schaden durch einen Kaiserschnitt hätte verhindern können. Deswegen raten Ärzte in fraglichen Situationen heute sehr schnell zu einem Kaiserschnitt. Auch, weil dieser inzwischen mit lokaler Betäubung erfolgen kann und die Folgen für die Frau relativ gut zu bewältigen sind. Zudem gibt es heute mehr medizinische Sonderfälle wie etwa Mehrlingsschwangerschaften oder Beckenendlagen, die einen Kaiserschnitt erfordern.

Die Furche: Wie stehen Sie dazu, wenn Frauen von vornherein einen Kaiserschnitt wünschen?

Sevelda: Kein Geburtshelfer kann abschätzen, wie stark die psychische Belastung der Frau ist. Unser Ansatz ist es, die Frauen umfassend über die Folgen eines Kaiserschnitts aufzuklären. Ich denke, dass dieser Eingriff oft unterschätzt wird. In der jüngsten Wiener Erhebung haben wir festgestellt: Der Anteil der Kaiserschnitt-Mütter, die das nächste Kind lieber auf natürlichem Weg gebären würden, ist relativ hoch. Wir möchten daher versuchen, die Kaiserschnittrate nicht weiter steigen zu lassen.

Die Furche: Welche Risiken birgt der Kaiserschnitt für die Mutter?

Sevelda: Unmittelbar nach der Geburt ist die Schmerzbelastung deutlich höher. Auch bei einer guten Schmerztherapie können Frauen ihr Baby eventuell nicht so gut versorgen. Der Kaiserschnitt bringt auch Risiken für weitere Schwangerschaften. Zudem stillen diese Mütter ihr Kind seltener.

Die Furche: Welche Bedeutung hat die Muttermilch für das kindliche Immunsystem?

Sevelda: Muttermilch hat eine gezielte Antikörperwirkung. Idealerweise sollte jedes Kind mindestens sechs Monate gestillt werden. Selbst bei Frühlingen oder bei Entzündungen der Mutter versucht man, sobald wie möglich zum Stillen überzugehen. Oft wird zu früh zum Fläschchen gegriffen. Doch Nahrungsergänzungsmittel können Muttermilch nicht ersetzen.

Die Furche: Ist eine möglichst sterile Umgebung für einen Säugling wünschenswert?

Sevelda: Vor 30 Jahren war es noch Standard, dass Frauen eine Stillmütze und Mundschutz tragen. Fläschchen wurden sterilisiert. Von dieser übertriebenen Hygiene ist man abgekommen. Das Kind soll in einer natürlichen Umgebung aufgewachsen. Das heißt nicht, dass man Babys bewusst Bakterien aussetzen soll. Es ist schon sinnvoll, das Kind zu schützen, wenn man krank ist.

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