Werbung
Werbung
Werbung

Da ein Kreuzstich, dort ein Kaiserschnitt: Über das Niederkommen in Zeiten medizinisch-technischer Hochrüstung.

Wenigstens die Wahlhebamme hat noch klare Sicht bewahrt: "Eine Schwangerschaft ist doch der beste Beweis dafür, dass man gesund ist!", meint die 49-Jährige zu ihren Klientinnen bei einem Kennenlern-Tee im Wiener Hebammenzentrum - und hat mit dieser simplen Feststellung in den Augen vieler bereits alle anstehenden Kosten gerechtfertigt. 70 Euro sind zu berappen, damit sie vor der Geburt nach Hause kommt und offene Fragen klärt (rund 30 Euro werden später von der Krankenkasse rückerstattet); 850 Euro sind aufzubringen, damit sie am großen Tag X im Krankenhaus motiviert, massiert und Händchen hält; und noch einmal 40 Euro kostet es, damit sie post partem anmarschiert, um einen Blick auf die stillende Mutter und den kleinen Zwerg zu werfen. Nähe hat eben ihren Preis - zumindest bei freien Hebammen ohne Kassenvertrag (siehe Kasten Seite 23).

Keine gute Hoffnung mehr

Trotz etwaiger Kosten stoßen die Hebammen mit ihrem Ziel, Schwangerschaft und Geburt angesichts einer Flut an modernen Diagnostik-und Eingriffsmöglichkeiten so natürlich wie möglich zu gestalten - und ganz nebenbei auch persönliche Ansprache zu bieten -, bei vielen Frauen auf offene Ohren. Kein Wunder: Schließlich wachsen mit den technischen Möglichkeiten in der Schwangerenbetreuung und Geburtshilfe auch die Unsicherheiten. "Heute gilt für die Frauen nicht mehr das Motto ,Gute Hoffnung - und es wird schon gutgehen', sondern sie müssen sich aktiv entscheiden, ob sie bestimmte Untersuchungen oder Eingriffe machen lassen oder nicht", weiß Barbara Maier, Oberärztin an der Universitätsfrauenklinik der Privaten Medizinischen Universität Salzburg und Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Psychosomatik in der Gynäkologie und Geburtshilfe. "Selbst wenn sie den Kopf in den Sand stecken, haben sie sich schon entschieden."

Insbesondere die Möglichkeiten der Pränataldiagnostik setzen die Frauen vermehrt unter Druck und bedürfen deshalb intensiver Beratung (siehe unten). Aber auch die "ganz normale Geburt" ist mittlerweile aufklärungspflichtig: Soll rechtzeitig eine Periduralanästhesie ("Kreuzstich") vorgenommen werden, wenn die Schmerzen für die Frau unerträglich sind? Zwischen 15 und 25 Prozent stimmen bei einer vaginalen Geburt zu. Oder ist gar eine Sectio ("Kaiserschnitt") indiziert oder gewünscht? Jede vierte Frau willigt mittlerweile ein.

Auch wenn Sectio-Raten von bis zu 70 Prozent - wie in manchen italienischen Regionen - in Österreich noch in ferner Zukunft liegen, so steigt die Kaiserschnitt-Frequenz doch stetig an. Bundesweiter Spitzenreiter ist das Wiener AKH mit 42,9 Prozent - wobei nach Ansicht des Leiters der Universitäts-Frauenklinik, Peter Husslein, ein Vergleich einzelner Spitäler unzulässig sei. "Zu uns kommen quasi alle ,Katastrophen' Ostösterreichs. Daher haben wir ein wesentlich anderes Kollektiv als etwa die Semmelweis-Frauenklinik", meint Husslein im Furche-Gespräch. Dessen ungeachtet liege die Zunahme an Kaiserschnitten im weltweiten Trend - und sei auf drei Entwicklungen zurückzuführen: "Einerseits wurde durch die Einführung der lokalen Betäubung die Möglichkeit geschaffen, dass die Frauen bei der Geburt live dabei sind", betont Husslein. "Zweitens wurde die Sectio-Technik vereinfacht, sodass die Komplikationsrate drastisch gesunken ist. Und drittens muss man, wenn man die Patientenautonomie ernst nimmt, einfach akzeptieren, dass sich immer mehr Frauen für einen geplanten Kaiserschnitt entscheiden." In solchen Fällen von "Wunschkaiserschnitt" zu sprechen, lehnt der Mediziner ab. Vielmehr gehe es um eine gemeinsame Entscheidung von Patientin und Arzt. Und wenn eine Frau auf das "Urerlebnis" einer vaginalen Geburt verzichten könne und einen kontrollierten Prozess präferiere - warum nicht?

Hussleins Fachkollege Horst Steiner, leitender Oberarzt der Universitätsfrauenklinik Salzburg, sieht die Entwicklung kritischer: "An der Zahl gesunder oder lebender Kinder hat sich bei uns durch die Erhöhung der Kaiserschnittrate von rund zehn Prozent auf 20 Prozent nichts verändert", meint er im Furche-Gespräch. Außerdem könne es nach einer Sectio bei der nächsten Schwangerschaft leichter zu Verwachsungen kommen. Auch Michael Adam, ärztlicher Leiter der Semmelweis-Klinik (mit einer Sectio-Rate von rund 18 Prozent), steht dem Trend zum "Wunschkaiserschnitt" skeptisch gegenüber. "Wo eine Sectio notwendig ist, ist sie ein Segen. Aber dass die Allgemeinheit zahlen soll, wenn eine Frau nach einem ,Wunschkaiserschnitt' nicht acht, sondern zwölf Wochen Mutterschutz bekommt, finde ich unerhört."

Ärztliche Bequemlichkeit?

Empören kann sich nicht zuletzt auch Brigitte Theierling vom Österreichischen Hebammengremium: Weniger die Wünsche der Frauen als die Bequemlichkeit der Ärzte und die stärkeren finanziellen Anreize für die Spitäler würden die Sectio-Raten in die Höhe treiben, ist sie überzeugt. "Doch der Trend zum Kaiserschnitt löst auch eine Gegenbewegung aus."

Im Wiener Hebammenzentrum haben Sympathisantinnen dieser Gegenbewegung eine Heimat gefunden. Hier stoßen sie beim Kennenlern-Tee auf Geburtshelferinnen mit langjähriger Erfahrung und offenen Ohren. Und auf einen Leitspruch, der in Zeiten medizinisch-technischer Hochrüstung wie Ketzerei klingen mag: "Kinder kommen durch Frauenkraft."

Wer hätte das noch gedacht ...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung