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"Zwischen Hoffen und Bangen" lautet der Titel des Buches, in dem sich andrea strachota mit dem subjektiven Erleben pränataler Diagnostik auseinander setzt. Ein Gespräch über routinierte Ärzte - und schockierte Eltern.

Die Furche: Frau Strachota, in Ihrem Buch berichten 14 Frauen und acht Männer über ihre Erfahrungen mit vorgeburtlichen Untersuchungen. Warum haben Sie sich für diese Innenperspektive interessiert?

Andrea Strachota: Weil das Bewusstsein über die Folgewirkungen, die Pränataldiagnostik nach sich zieht, sehr gering ist - bei allen Beteiligten: bei Menschen, die Kinder haben möchten; bei den werdenden Eltern, und vor allem bei den Frauenärztinnen und-ärzten, Hebammen und allen anderen, die beruflich mit Pränataldiagnostik zu tun haben. Für viele professionell Tätige ist Pränataldiagnostik längst Alltag geworden. Wenn ich als Gynäkologin in einem pränataldiagnostischen Zentrum an einem Vormittag 50 Frauen "durchschleusen" muss, dann wird das Routine. Doch das Bewusstsein, was ein positiver Befund für die Betroffenen bedeutet, ist oft sehr gering.

Die Furche: Wie ist es zu erklären, dass der überwiegende Teil der Schwangeren heute pränatale Diagnostik in Anspruch nimmt, obwohl diese Untersuchung nicht im Mutter-Kind-Pass vorgeschrieben ist?

Strachota: Am Anfang der Schwangerschaft wird ja erst einmal die nicht-invasive Pränataldiagnostik angeboten (siehe Kasten), die im Grunde als harmlos gilt, weil sie ja - anders als die invasive Diagnostik - kein Risiko für eine Fehlgeburt mit sich bringt. Also macht man das einfach, weil es alle anderen auch tun. Das ist wie ein Sog, aus dem man sich ganz schwer befreien kann.

Die Furche: Eine Realität fernab von der "mündigen Patientin" also?

Strachota: Ich nehme davon Abstand, von Patientinnen zu reden, weil schwangere Frauen nicht krank sind - wobei man in der Gynäkologie natürlich meistens von Patientinnen spricht. Das transportiert übrigens auch das, was viele Frauen empfinden: Schwanger zu werden, ist zu einem risikohaften, also auch krankhaften Zustand geworden. Hier mündig zu sein, hieße, autonom Entscheidungen treffen zu können. Dazu muss mir vorher aber erst einmal bewusst sein, dass es in dieser Situation überhaupt etwas zu entscheiden gilt. Außerdem muss ich wissen, zwischen welchen Optionen ich mich entscheiden kann. Diese Konsequenzen bewusst zu machen, geschieht vor der nicht-invasiven Diagnostik nicht - bestenfalls vor der invasiven.

Die Furche: Wie sieht das Prozedere aus Sicht der Frauen aus?

Strachota: Wenn es bei der nicht-invasiven Diagnostik ein in irgend einer Weise auffälliges Ergebnis gibt, sind sie natürlich in höchstem Maße beunruhigt. Die Reaktionen, die von den Frauen in meinem Buch beschrieben werden, deuten alle auf regelrechte Schockreaktionen hin - dabei geht es vorerst nur um einen Hinweis und um sonst nichts. Er kann sich als richtig oder auch als falsch herausstellen - wie auch ein unauffälliges Ergebnis keine Garantie ist für ein gesundes Kind. Bei einem auffälligen Ergebnis gibt es dann zwei Möglichkeiten: Entweder die Frau will Gewissheit, dann bedeutet dies, zur diagnostischen Abklärung invasive Verfahren in Anspruch zu nehmen. Oder sie sagt: Ich will das nicht, weil ich auch das Fehlgeburts-Risiko nicht eingehen will. Die meisten entscheiden sich aber für die Abklärung.

Die Furche: Von Ärzteseite wird oft auch der Hinweis gebracht, dass die Pränataldiagnostik die rechtzeitige Behandlung des ungeborenen Kindes möglich machen würde ...

Strachota: Bei der Diagnose schwerer Herzfehler oder Spina bifida (eine Fehlbildung der Wirbelsäule) kann das durchaus möglich sein. Aber wenn es um Chromosomenveränderungen geht wie bei Trisomie 13, 18 oder 21, gibt es keine Therapiemöglichkeiten. Das Down Syndrom, um das es in der Pränataldiagnostik im Wesentlich geht, kann man also nur diagnostizieren. Die Alternativen sind also in diesem Fall entweder der Abbruch oder das Fortführen der Schwangerschaft - und das zu entscheiden, kann irrsinnig schnell gehen ...

Die Furche: Wie schnell?

Strachota: Bei einer Frau in meinem Buch liegt die Zeitspanne zwischen dem allerersten Verdacht und dem Abbruch bei vier Tagen! Das muss man sich vorstellen! Bei einer anderen Frau waren es immerhin sechs Wochen: Da ist man nicht mehr in der Schockphase, sondern da kann schon viel an Auseinandersetzung stattfinden.

Die Furche: Was brauchen die Frauen am dringlichsten, um autonom Entscheidungen treffen zu können?

Strachota: Zeit und Raum - die es aber im Klinikalltag oft nicht gibt. Auch Kassenärztinnen und-ärzte haben derzeit pro Patientin kaum zehn Minuten Zeit: Was soll man da großartig aufklären? Umso wichtiger ist, dass die Ärzte und Ärztinnen zumindest wissen, in welche Beratungsstelle sie eine Frau nach einem positiven Befund schicken können. Doch auch das wissen viele nicht. Dafür ist den Ärztinnen und Ärzten bewusst, dass Schadenersatzklagen drohen, wenn sie etwas übersehen. Sie haben aber auch nicht gelernt, die Botschaften bei "entdeckten" Auffälligkeiten mitzuteilen. Sobald sich bei ihnen während einer Ultraschalluntersuchung auch nur der Nasenflügel hebt und sie ein bisschen länger nichts sagen, läuten bei den Frauen ja schon die Alarmglocken. Umso wichtiger ist, was sie in dieser Situation sagen. Und das hängt davon ab, welche Haltungen sie selbst gegenüber Behinderung einnehmen.

Die Furche: Welche Haltungen nehmen Sie als Heilpädagogin wahr?

Strachota: Um es pointiert zu sagen: Viele Gynäkologen und Gynäkologinnen kennen Menschen mit Down-Syndrom aus-schließlich von Ultraschall-Bildern, sie haben eine genauso diffuse Vorstellung von einem Leben mit Trisomie 21 wie viele andere Menschen auch. Hier wäre also beispielsweise begleitende Supervision notwendig und sinnvoll. Insgesamt gilt Behinderung in unserer Gesellschaft als Schreckgespenst - und mit der Pränataldiagnostik gibt es jetzt eben die Möglichkeit, Behinderung - vorgeburtlich - zu vermeiden. Wer tut das dann nicht, im Wissen darüber, was passiert, wenn ich mich für ein Kind mit Behinderung entscheide? Was die Eltern befürchten, ist ja auch die soziale Isolation - eine Angst, die angesichts der derzeitigen Rahmenbedingungen leider nicht unbegründet ist.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

BUCHTIPP: ZWISCHEN HOFFEN UND BANGEN

Frauen und Männer berichten über ihre Erfahrungen mit pränataler Diagnostik Von Andrea Strachota

Mabuse Verlag, Frankfurt/M. 2006

224 Seiten, geb., e 19,80

Andrea Strachota hat Mittwoch dieser Woche bei der dritten GLOBArt-Tagung ("Von der Minderwertigkeit zur Selbstbewusstheit - Ermutigung zum Ich") in Graz referiert und ist Mitinitiatorin des Arbeitskreises "Plattform Pränataldiagnostik".

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