Schwangerschaftsabbrüche: Wirklich nicht einmal ignorieren?

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Der Verein "Aktion Leben“ wollte mit einer Bürgerinitiative erreichen, dass es auch in Österreich endlich eine seriöse Statistik über Schwangerschaftsabbrüche gibt. Doch sachliche Gespräche waren unmöglich. Ein Gastkommentar.

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Der Verein "Aktion Leben“ wollte mit einer Bürgerinitiative erreichen, dass es auch in Österreich endlich eine seriöse Statistik über Schwangerschaftsabbrüche gibt. Doch sachliche Gespräche waren unmöglich. Ein Gastkommentar.

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Eine Statistik über Schwangerschaftsabbrüche: In Österreich liegt die Gesprächskultur dazu weit unter dem Gefrierpunkt. Die Grünen und die Opposition schreien, inszenieren sich oder schweigen. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass unsere Bürgerinitia­tive „Fakten helfen!“ vorige Woche lediglich dem Parlament zur ­Kenntnisnahme zugewiesen wurde. Trotz fast 59.200 Unterschriften und Zustimmungen kam das Aus für eine der stimmenstärksten Bürgerinitiativen seit 2011.

„Aktion Leben“ wollte mit „Fakten helfen!“ erreichen, dass es so wie in ganz Europa (außer bei uns, in Luxemburg und auf Zypern) eine seriöse Statistik über Schwangerschaftsabbrüche gibt. Davon unabhängig sollte regelmäßig wissenschaftlich erforscht ­werden, warum sich schwangere Frauen in einer schwierigen Situation für oder gegen ein Kind entscheiden. Die Fristenregelung würde durch eine Statistik in keiner Weise berührt. Eine Statistik wäre einfach zu machen: Die ohnehin in den Arztpraxen vorhandenen Daten müssten nur zusammengeführt werden. Die Ärztinnen und Ärzte melden verschlüsselt und anonymisiert die Abbrüche sowie Grundinfos an die Statistik Austria. Diese wertet sie aus.

Mehr Sachlichkeit

Das funktioniert in allen Ländern problemlos. Keine Frau würde dadurch belästigt, stigmatisiert oder müsste sich rechtfertigen. Sie muss für die Statistik keinen Grund für den Abbruch nennen. Motivenerforschung erfolgt freiwillig und nicht im Rahmen des Abbruchs. Für die Frau würde sich nichts ändern. Mit den regelmäßigen Berichten über Alter der Frauen, Schwangerschaftsdauer, Verhütungsmethode, Anzahl der bereits geborenen Kinder oder Diagnosen würde ein neues Kapitel in der Behandlung des Themas aufgeschlagen: Die Basisdaten würden zu mehr Sachlichkeit führen. All das halten wir für essenziell.

Leider nützten einige Frauenpolitikerinnen wie jene der Grünen und einiger Oppositionsparteien das Thema „Schwangerschaftsabbruch-Statistik“ zur Selbstinszenierung. Sie verbreiteten: „Die Frauenrechte sind in Gefahr!“ Ein Blick über die Grenzen hätte genügt, um zu sehen, dass sie falsch sie liegen. Gesprächsangebote, um Missverständnisse zu klären, wurden von den Grünen ignoriert und von deren Anhänger(inne)n als „Anbiederung“ diffamiert. Wir haben Derartiges noch nie erlebt.

Viele schwangere Frauen werden allein gelassen. Entscheidungsfreiheit wird mit verweigerter Hilfe gleichgesetzt.

Immer wieder wird eine Parallele mit Polen gezogen. Doch Verhältnisse wie in Polen wollen wir keinesfalls: Ein absolutes Abtreibungsverbot ist realitätsfern und geht auf Kosten von Frauen. Wenn diese sich für einen Abbruch entscheiden, dürfen sie nicht in die Illegalität getrieben werden. Bei einem Abbruch braucht es eine medizinisch und menschlich gute Betreuung. Zielführender für die österreichische Debatte wäre ein Vergleich mit Deutschland oder der Schweiz: Dort gibt es eine Abbruch-Statistik, eine Gesprächskultur, die man als erwachsen bezeichnen kann, Programme, um Frauen nachhaltig zu ­unterstützen. Der Vergleich mit Polen dient dem Populismus, dem billigen Stimmenmaximieren durch undifferenzierte Vereinfachung.

Wenn sich Frauen fragen müssen, ob sie ­eine Schwangerschaft fortsetzen oder abbrechen lassen, ist dies meist eine der schwersten Krisen in ihrem Leben. Die Betroffenheit ist groß. Die Schätzungen in Österreich schwanken zwischen 15.000 und 60.000 Abbrüchen jährlich. Wären es 30.000, lägen wir im europäischen Spitzenfeld. Und das, obwohl die SPÖ in den 1970ern meinte, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche soll so gering wie möglich gehalten werden. Ein Witz: Wie denn, wenn die Politik nichts Konkretes weiß und daher ­keinen Plan hat und nichts unternimmt? ­Heute muss keine Frau in Österreich eine Schwangerschaft fortführen, wenn sie das nicht möchte. Die Probleme liegen woanders: Viele schwangere Frauen werden mit ihren Problemen allein gelassen. Entscheidungsfreiheit wird mit verweigerter Hilfe gleichgesetzt. Deine Entscheidung – deine Verantwortung. Das meint auch: Ich will mit der Schwangerschaft nichts zu tun haben. Ist es nicht zu einfach, das „Selbstbestimmungsrecht“ zu bemühen und damit nur den Zugang zu möglichst kostenfreien Abbrüchen zu meinen?

Verweigerte Hilfe

Wir sehen in der Schwangerenberatung, was viele Frauen belastet: Große Sorgen bereiten die Wohnkosten. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind häufig. Es gibt Frauen, die durch alle Netze fallen. Das Desinteresse spüren wir auch in der Schwangerenberatung, die schwach gefördert und kaum beworben wird. Ohne Spenden könnte nicht einmal der Grundbetrieb aufrechterhalten werden, Unterstützungen werden ohnehin zu 100 Prozent durch Spenden finanziert.

Die Abbruchraten sind ein feiner Indikator für die Stimmung der Frauen beim Thema Kinderbekommen: Es geht nicht nur, aber auch um Rahmenbedingungen, die in der Verantwortung der Politik liegen. Es geht zweitens um eine Grundhaltung in der Gesellschaft: Wie wollen wir miteinander umgehen, wenn es schwierig wird? Sind Kinder willkommen? Wie fördern wir Beziehungsfähigkeit? Welche Hilfszusagen können wir geben?

Deutschland beschreibt den Grund für die Statistik so: „Die Angaben geben einen Überblick über die Größenordnung, Struktur und Entwicklung der Schwangerschaftsabbrüche sowie über ausgewählte Lebensumstände der betroffenen Frauen. Damit werden wichtige Informationen im Zusammenhang mit den Hilfen für Schwangere in Konfliktsituationen sowie über Maßnahmen zum Schutz des ungeborenen Lebens zur Verfügung gestellt.“ Trotz der aktuellen Ablehnung unserer Bürgerin­itiative „Fakten helfen!“ bleiben die Probleme bestehen. Wir arbeiten weiter an Lösungen.

Die Autorin ist Generalsekretärin von „Aktion Leben Österreich“.

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