Verspätete Verhütung
"Vikela" heißt jene Wunderpille, die mit einer Erfolgsrate von bis zu 99 Prozent unerwünschte Schwangerschaften nachträglich verhindern soll. Ihre Nebenwirkungen sind gering, ihr Preis ist hoch - und ihr Einsatz höchst umstritten.
"Vikela" heißt jene Wunderpille, die mit einer Erfolgsrate von bis zu 99 Prozent unerwünschte Schwangerschaften nachträglich verhindern soll. Ihre Nebenwirkungen sind gering, ihr Preis ist hoch - und ihr Einsatz höchst umstritten.
N ur für den Notfall, nicht für den "täglichen Gebrauch" sei die neue Pille gedacht. Und Notfälle gebe es hierzulande noch allzu oft, lautete die Botschaft der "Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe" (OEGGG) anlässlich eines Symposiums, das sich mit der im Mai 2000 zugelassenen "Pille danach" beschäftigte. Aufklärung tut Not: Immerhin 40 Prozent der Paare verwenden nach wie vor keine Verhütungsmittel. Zu dieser großen "ungeschützten" Personenzahl gehören heute vor allem junge Mädchen zwischen 20 und 25 Jahren, Migrantinnen und deren Kinder sowie die Gruppe jener Frauen, die über 35 Jahre alt sind, sich jahrelang ein Kind wünschten und "irgendwann einfach auf die Verhütung vergessen", weiß Professor Wolfgang Walcher von der Universitätsfrauenklinik Graz aus Erfahrung.
Die Folge: Geschätzte 25.000 Schwangerschaften werden jährlich in Österreich abgebrochen. Eine darüber hinausgehende Dunkelziffer ist ebenso nebulos wie diese Schätzung, denn hierzulande gibt es bei Abtreibungen nach wie vor keine Meldepflicht. Weltweit kommt es pro Jahr zu 39 bis 53 Millionen Schwangerschaftsabbrüchen. Die niedrigste Abtreibungsrate hat zur Zeit Holland: Fünf von 1.000 Frauen im gebärfähigen Alter zwischen 15 und 45 Jahren haben hier innerhalb eines Jahres eine Schwangerschaft unterbrochen. Trauriger Spitzenreiter ist dagegen Rumänien, wo 188 von 1.000 fruchtbaren Frauen, also insgesamt zwei von drei Schwangeren, sich gegen ihr Kind entscheiden. Trotz bestehender Meldepflicht hat auch Großbritannien mit fast 15 Abtreibungen zu 1.000 eine relativ hohe Abtreibungsrate. Woran es nach wie vor mangelt, ist eine gründliche und rechtzeitige Aufklärung sowie die richtige Art der Verhütung.
Frühe Abtreibung?
Dass Ärzte hier wie dort jede Form der Verhütung einer Abtreibung vorziehen, ist im Hinblick auf die erwiesenen Abtreibungs-Folgeschäden, auf eine große Anzahl von Komplikationen und last but not least auf bestehende und berechtigte ethische Bedenken mehr als einleuchtend. Ein Großteil der Mediziner, darunter auch der Wiener Gynäkologe und promovierte Theologe Johannes Huber, betrachtet die "Pille danach" nicht als Schwangerschaftsabbruch und damit als ethisch unbedenklich, verhindere sie doch schon das Einnisten des befruchteten Eis, also das Entstehen einer Schwangerschaft. Anders hingegen die Überzeugung von Gertraude Steindl, Generalsekretärin der Aktion Leben Österreich, die "Vikela" als Nidationshemmer und damit als "frühe Form der Abtreibung" erachtet: "In dem Moment, wo sich Ei- und Samenzelle verschmelzen, nimmt ein neuer Mensch seinen Anfang."
Eine Argumentation, der sich Wolfgang Walcher nicht anschließen will: "Ich möchte verhindern, dass es zu Schwangerschaftsabbrüchen kommt. Ein Zweizeller ist hier das kleinere Problem - es gehen ja so viele verloren." Einen Nachteil sieht freilich auch er im neuen rezeptpflichtigen Medikament: den vergleichsweise hohen Preis von 180 Schilling. Konnte das herkömmliche, gesponserte Präparat Yuzpe gratis abgegeben werden, so müsse er Patientinnen, die auf der nebenwirkungsärmeren, neuen Pille bestehen, in die nächste Apotheke schicken. "Viele Nachfragen werden am Wochenende gestellt, weil Verhütungsversagen meist vor Feiertagen passieren", weiß Walcher. Nachtdienstapotheken seien jedoch nicht immer in Reichweite, "und die Schwestern weigern sich, Inkasso-Stelle zu spielen."
Zwischen April und Dezember 1999 wurden in Graz knapp 650 Frauen mit der neuen Pille behandelt. Dabei kam es in nur vier Fällen (0,62 Prozent) zu einer Schwangerschaft und im Unterschied zum bisher angewendeten Präparat zu wesentlich weniger Nebenwirkungen. Ursache der besseren Verträglichkeit von "Vikela" ist ein neuer Wirkstoff: Während in der herkömmlichen Methode nach Yuzpe eine hochdosierte Mischung aus Östrogen und Gestagen verabreicht wird, führt das Hormon Levonorgestrel in "Vikela" wesentlich seltener zu Übelkeit und Erbrechen. Einzunehmen ist das Präparat möglichst bald, am besten unmittelbar nach einem ungeschützten Verkehr und ein zweites Mal 12 Stunden später. Es kann aber noch bis zu 72 Stunden danach eingesetzt werden. Bei richtiger und sofortiger Einnahme gewährleistet es eine Sicherheit von bis zu 99 Prozent. Bei längerem Zeitraum nimmt die Erfolgsrate jedoch auf bis zu 58 Prozent ab.
Aufklärung ist in jedem Fall nötig. So widmeten Österreichs Gynäkologen und Geburtshelfer das heurige Jahr dem Schwerpunktthema "Empfängnisverhütung". Nach Großereignissen wie Snow-board-Events oder Schulbällen steige die Nachfrage nach Vikela-Rezepten bis auf das Doppelte, so Wolfgang Walcher. Ratsam wäre dagegen, "je früher desto besser" im Rahmen eines ausführlichen Gesprächs in der Facharztordination zu sprechen und somit auch den derzeit üblichen Ansturm auf überfüllte Montag-Ambulanzen zu reduzieren. Auch die Ärztin Claudia Neudecker von der "First Love Ambulanz" der Rudolfsstiftung bestätigt den montäglichen Andrang durch meist sehr junge Mädchen.
Die gesellschaftliche Entwicklung unserer Tage führe nachweislich zu einem Anstieg von ungewollten Schwangerschaften in der Pubertät, meint der Präsident der OEGGG, Professor Norbert Pateisky. Gründe dafür sind seiner Ansicht nach die mangelnden Zukunftsperspektiven junger Menschen, außerdem der Drogenkonsum, psychosozialer Stress und das Getrenntleben Jugendlicher von den Eltern. Auch eine große Anzahl von Kondom-Unfällen (obwohl Kondome seit der Aids-Kampagne sehr gut eingeführt sind), von spontanem Geschlechtsverkehr und von ungeschütztem Geschlechtsverkehr (bei Mädchen bereits im Alter von 15 Jahren ) mache Empfängnisverhütung in steigendem Maße wichtig und notwendig. "Vikela kann als reine Notbremse unter den empfängnisverhütenden Methoden bezeichnet werden," stellt Pateisky fest. "Trotzdem sollte man a la longue dahin kommen, dass das Präparat oder Rezept bereits prophylaktisch in der Nachtkastelschublade vorhanden ist."
Aufklärungskampagne Für Ende Jänner sind nun im Wiener Rathaus umfassende Informationen über Empfängnisverhütung für Schülerinnen und Schüler angesagt - gemeinsam mit der Wiener Frauenbeauftragten Professor Beate Wimmer-Puchinger und der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung. Beiträge in Rundfunk, Fernsehen und in den Printmedien sowie eine Broschüre, die bis Herbst an den Schulen verteilt werden soll, beschäftigen sich intensiv mit dem Thema Verhütung.
Zwar sind die Schülerinnen und Schüler aufgrund langjähriger schulischer Aufklärungsarbeit "nicht das eigentliche Risikopotential", weiß der Grazer Gynäkologe Wolfgang Walcher. Doch die Anwendung des Wissens lasse zu wünschen übrig: "Praktische Übungen mit Kondomen gibt es natürlich im Biologie-Unterricht nicht. Aber wenigstens am Modell könnte man üben."
Informationen unter www.pilledanach.at
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