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Verantwortung abschieben

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Was wurde nicht alles Pro und Kontra „Pille” diskutiert. Seit Gregory Pincus 1955 die Entwicklung der Ovulationshemmer einleitete, wurde die „Pille” immer wieder von ihren Befürwortern einerseits als das Vade-mecum der Verhütung gepriesen und andererseits von ihren Gegnern als sittenverderbende und/ oder gesundheitsschädigende Erfindung abgelehnt.

Nunmehr ist die Diskussion im Zusammenhang mit der erstrebten Verringerung der Abtreibungszahlen um die „Pille” auf Krankenschein erneut aufgeflammt.

Wenngleich man auch bei oberflächlicher Auseinandersetzung mit der Abtreibungsproblematik in der kostenlosen „Pille” ein zielführendes Mittel zur Reduzierung der Abtreibungen sehen kann, so muß man doch energisch widersprechen, wer sich mit dem Problem der Abtreibung intensiv und jeden Tag aufs neue beschäftigt.

Wenn man die „Pille” auch nicht generell ablehnt, sie ist—zumindest vorläufig — für viele Frauen oft einige Jahre hindurch eine sichere Verhütungsmethode: Aber die „Pille” als eine von vielen Möglichkeiten der Empfängnisverhütung anzusehen, ist eine Seite. Etwas ganz anderes ist es, sie zu dem Mittel schlechthin zu machen, was zweifellos geschähe, würde sie kostenlos verschrieben.

Gesellschaftspolitisch und im Hinblick auf die Einstellung zur Sexualität und ihren Folgen—wozu die Frage: Kinder — ja oder nein? gehört—hat die „Püle” eine Position, die sehr sorgfältig bedacht gehört.

Was ist so störend an der „Pille” als großflächig verwendetes Verhütungsmittel?

Erstens einmal gehört sie dem bereits ausgehenden Zeitalter der Großtechnologie an, in welchem man es selbstverständlich fand, jene Denkweise, die das Betreiben von Unternehmen im größten Maßstab erforderte, auch auf den Menschen zu übertragen.

Die „Pille” ist hormonelle Großtechnologie im Körper und auf dem Rücken der Frau. Wie sich herausstellt, daß das Wirtschaftswachstum zu Lasten unserer Wälder und Flüsse ging, so stellt sich heraus, daß die „Pille” durch den Eingriff in den Hormonhaushalt, der den Körper glauben macht, er sei ohnedies schon schwanger, schädliche Neben- und Folgeerscheinungen hat.

Keineswegs kann eine Frau die „Püle” von der ersten Regel bis in die Wechseljahre einnehmen.

Ein anderer wesentlicher Gesichtspunkt ist jener, daß das Einnehmen der „Püle” jenem Trend entgegenkommt, demzufolge sich viele Menschen weder mit dem eigenen Körper, mit der eigenen Sexualität, noch der des Partners auseinandersetzen wollen.

Die „Pille” wird von der Frau eingenommen und die partnerschaftliche Haltung des Mannes reduziert sich im besten Fall darauf, zu fragen, ob sie auch nicht vergessen wurde.

Die „Pille” ist das einzige Mittel der Empfängnisverhütung, bei dem man den genitalen Bereich des eigenen Körpers weder berühren noch beobachten muß, was einer Anzahl von Frauen - sicherlich oft unbewußt — eigentlich recht willkommen ist.

Auch die Tatsache, daß die „Pille” vom Arzt verschrieben werden muß — und das sollte unbestritten sein—kommt der Einstellung entgegen, sich mit dem eigenen Körper, der eigenen Sexualität nicht auseinanderzusetzen, sondern die Entscheidung auf eine Fremdautorität, in diesem Fall den Arzt, abzuschieben.

Ohne die Rolle des Arztes in der aUgemeinen gesundheitlichen Betreuung bei Fragen im Zusammenhang mit der „Pille” geringschätzen zu wollen, sollte aber die Frage der Empfängnisregelung nicht primär eine medizinische auf keinen Fall eine medizinische sein.

Um eine Grundinformation über die möglichen Methoden und Mittel und damit der Verhütung zu vermitteln, bedarf es keines Arztes. Allerdings gibt es viel zu wenig Angebote in dieser Richtung und fast nur weiße Flecken auf der Landkarte der Jugend-und auch Erwachsenenbildung dieses Thema betreffend.

Die zaghaften Ansätze, Empfängnisregelung nicht ausschließlich als Angelegenheit der Frau zu betrachten, würden durch die großflächige Verwendung der „Pille” zunichte gemacht und der partnerschaftlichen Beziehung der Geschlechter wird dadurch kein guter Dienst erwiesen.

Wenn Männer oder gar Frauen meinen, daß Empfängnisregelung ausschließlich Sache der Frau ist, so ist folgerichtig Schwangerschaft auch ausschließlich ihre Sache und der Schritt zum Druck zur Beseitigung des ungeplanten Kindes ist dann nur ein sehr kleiner, der wie man in jeder einschlägigen Beratungsstelle weiß, heute schon tausendfach gegangen wird.

In diesem Zusammenhang notwendig ist ein viel stärkeres Angebot an Information über umfassend verstandene Sexualität, die das Verständnis für die diesbezüglichen körperlichen und seelischen Zusammenhänge vermittelt und auch Denkanstöße zum Uberlegen des eigenen Verhaltens für beide Geschlechter anbietet.

Von der Ärzteschaft muß ein breiteres Verständnis für die Empfängnisregelung und mehr Eingehen auf die Bedürfnisse der Menschen statt dem bloßen „Verordnen” eines Mittels gewünscht werden.

Andererseits sollte die Beratung über Empfängnisregelung endlich in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen werden, damit wenigstens jene Ärzte, die sich für diese Tätigkeit Zeit nehmen, dafür entschädigt werden.

Was die kostenlose Abgabe der „Pille” betrifft, so ist es über die bereits genannten Gründe hinausgehend beschämend, den Frauen als Gruppe zu unterstellen, sie könnten sich eine Ausgabe von siebzig bis hundert Schilling im Monat nicht leisten. Entspräche das der Wahrheit, so müßte es doch gerade Aufgabe einer Frauenbewegung sein, für eine gerechtere Entlohnung oder Anerkennung im Falle nicht erwerbstätiger Familienfrauen einzutreten.

Die Gratisversorgung der Frauen mit Ovulationshemmern ist Ausdruck einer antiquierten Haltung der Dienstbarkeit der Frau dem Mann gegenüber; sie zu überwinden und nicht zu verfestigen ist eine Aufgabe, für die zu arbeiten sich lohnt. I

Die Autorin ist Generalsekretärin der „Aktion Leben”.

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